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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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ich eine neue Welt kennen.
    Die Nonnen von St. Gabriel gehören zum ältesten Orden der Christenheit, aber ihre Kommunität ist relativ neu. Sie sind kurz nach dem Ersten Weltkrieg von ihrem Ursprungskloster in Prag nach Österreich gekommen, weil die deutschsprachigen Schwestern in der jungen Tschechoslowakei keine Zukunft für ihr Kloster sahen. Eine von ihnen, die spätere Äbtissin, entstammte der böhmisch-österreichischen Familie Schwarzenberg, der die steirische Burg gehörte. Die Schwarzenbergs schenkten den Nonnen, damals 85 an der Zahl, das alte Gemäuer. Heute sind es keine zwanzig mehr. Die Burg ist viel zu groß für die kleine Schar und viel zu unpraktisch. Lange, offene Wehrgänge hinter Schießscharten, im Winter eiskalt. Das ganze Haus kaum zu heizen. Aber schön.
    An St. Gabriel ist die Modernisierungswelle der letzten Jahre, die auch viele Klöster erfasst hat, vorbeigegangen. Die Schwestern tragen nach wie vor den alten Habit, bodenlang, mit weißem Brustschleier. Bei kaltem Wetter ziehen sie zum Chorgebet die Kukulle über, den schwarzen, hinten kompliziert gefältelten Umhang. Vor Jahrhunderten muss jemand dieses Kleidungsstück entworfen haben, der viel von Schnitttechnik verstand. Meine Schwestern sind die schönsten, sagt Mutter Cäcilia, die Äbtissin. Sie ist eine »gotische« Äbtissin, hochgewachsen und schmal, streng und allen Eitelkeiten abhold. Aber was Schönheit ist, weiß sie ganz genau.

Schwester Basilia OSB, Abtei St. Gabriel bei Pertlstein in der Südsteiermark
    Ich wohne in einer winzigen Zelle mit herrlichem Blick über die Weinberge. Bett, Tischchen und Stuhl, ein Waschtisch, ein kleiner Schrank für die notwendigsten Habseligkeiten. Das muss genügen. Nach einer Woche sagt die Äbtissin nebenbei: Du hättest eine ganz gute Nonne abgegeben. Ich wundere mich. Wie das? Pünktlich und schweigsam, sagt Mutter Cäcilia. Diese Antwort ist in ihrer Nüchternheit und Sachlichkeit typisch benediktinisch, merke ich später.
    Pünktlich und schweigsam sind die Schwestern wirklich. Um fünf Uhr dreißig läutet die Glocke zur Matutin, dem ersten Gebet des Tages, zu dem sich alle im Chor, der Klosterkapelle, versammeln. »Domine, labia mea aperies«, singt die Kantorin. Und der Konvent antwortet: »Ut os meum annuntiabit laudem tuum.« Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.
    Und so geht es den ganzen Tag weiter. Nach der Matutin gibt es eine kurze Pause. Um sieben Uhr folgen die Laudes, um zwölf die Mittagshore – Sext und Non –, um siebzehn Uhr die Vesper samt Choralamt und nach dem Abendessen die Komplet. Dann versinkt das ganze Haus in Schweigen.
    Zuspätkommen ist undenkbar. Wenn die Glocke ertönt, hat man alles stehen und liegen zu lassen und in den Chor zu eilen, getreu dem Wort des Ordensgründers Benedikt: »Operi Dei nihil praeponitur.« Dem Werk Gottes ist nichts vorzuziehen. Der Spruch steht in der »Statio«, dem Vorraum zur Kapelle, an der Wand. Das Gebet ist die Hauptbeschäftigung, sozusagen der Hauptberuf dieses Ordens, auch wenn dazwischen schwer gearbeitet wird. Die Mönche und Nonnen, so steht es in der Ordensregel, müssen von ihrer Hände Arbeit leben. Ora et labora. Am Latein wird eisern festgehalten. Und es ist wichtig, dass der gregorianische Choral wie vor tausend Jahren so fachgerecht und so schön wie möglich gesungen wird. Es braucht jahrelange Übung, sagt die Kantorin, damit es so klingt, wie es klingen soll.
    Hat das alles Sinn? Ist es vorstellbar, dass es im 20. Jahrhundert Leute gibt, die ihr ganzes Leben lang praktisch nichts anderes tun als beten? Gar nichts Nützliches? Irgendwann stellt sich diese Frage nicht mehr. So ist es hier eben, sagt sich der Gast, auch wenn er oder sie mit Glauben und Kirche sonst nicht viel anfangen kann. Wenn es dir nicht passt, komm nicht her. Aber mir passt es ohnehin. Eine Zeitlang.
    Schwester Renate, promovierte evangelische Theologin und später katholische Nonne geworden, weiß eine fundiertere Antwort auf die Frage nach dem Sinn des monastischen Lebens. Sie zeigt mir eine Stelle beim Propheten Ezechiel: »Vor ihren Augen brich dir ein Loch in die Wand und dann steige dort hinaus. Vor ihren Augen sollst du deine Schultern beladen, in finstrer Nacht sollst du von dannen ziehen. Dein Angesicht sollst du verhüllen, damit du das Land nicht siehst, denn ich mache dich zum Wunderzeichen für das Haus Israel.« Der Mönch und die Nonne, sagt Schwester Renate, sind dem Propheten im Loch in der

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