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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Wand vergleichbar – noch nicht im Himmel, nicht mehr auf der Erde, ohne Heimat, Pilger, ganz und gar auf das Kommende ausgerichtet. Spricht’s und geht in die Küche, das Abendessen vorbereiten. Es soll Eiernockerln mit Salat aus dem Klostergarten geben.
    Das Ursprungskloster St. Gabriel in Prag ist ein pompöses neoromanisches Gebäude, das im 19. Jahrhundert im Zuge der »Beuroner Erneuerung« erbaut worden ist. Damals suchten manche eine Rückkehr zu den Wurzeln des Mönchtums, entdeckten die Liturgie neu und führten den gregorianischen Choral zu neuer Blüte. Das süddeutsche Männerkloster Beuron wurde zum Zentrum der Bewegung. In der Prager St.-Gabriel-Kirche findet man heute noch Fresken im Beuroner Stil, eine Mixtur aus Historismus und Jugendstil. Viel Gold ist dabei. Die Kunsthistoriker schreiben Bücher darüber.
    Das steirische St. Gabriel ist karger und einfacher, aber ein paar Sachen haben die Schwestern doch aus ihrer alten Heimat mitgebracht. Die Stühle im Refektorium zum Beispiel. Sie sind kunstvoll geschnitzt und extrem unbequem. Nur ein schmales Hinterteil hat auf der Sitzfläche Platz. Auch die Bronzeskulptur des Erzengels Gabriel im Klostergarten kommt aus Prag, sie hat ursprünglich die Fassade der großen Kirche geziert. Jetzt steht der Engel auf einem Sockel, der von Kletterrosen überwuchert ist.
    Die Dreißigerjahre, Blütezeit der das Zweite Vatikanische Konzil vorwegnehmenden liturgischen Bewegung in Österreich, und die unmittelbare Nachkriegszeit waren auch die Blütezeit des Klosters. Damals kamen die Frauen, deren prägende Persönlichkeiten den Ruf von St. Gabriel in Insiderkreisen begründeten. Heute sind diese Ordensfrauen alt. Aber ich bin froh, dass ich noch rechtzeitig gekommen bin, um sie kennenzulernen. Denn ich spüre: Lang wird es diese Schwesterngemeinschaft wohl nicht mehr geben.
    Mutter Cäcilia, die Äbtissin, gehört zu dieser Gruppe. Die studierte Altphilologin ist nach der Regel des Ordensgründers die höchste Autorität im Haus. Sie wurde in geheimer Wahl vom Konvent gewählt. Alle sind ihr gegenüber zum Gehorsam verpflichtet. Freilich, und auch das steht in der uralten Ordensregel, muss der Abt oder die Äbtissin vor jeder wichtigen Entscheidung alle Brüder oder Schwestern hören und sich bewusst sein, dass möglicherweise der jüngste Novize oder die jüngste Novizin recht haben könnte und alle anderen unrecht. Mutter Cäcilia strahlt eine natürliche Autorität aus. Ich stehe automatisch auf, wenn sie das Zimmer betritt. Ihre Zelle ist ein wenig größer als die der anderen, von dort aus regiert sie den Konvent. Ihr Fenster geht hinaus auf den Klosterwald. Sie ist, unter anderem, eine erfahrene Ornithologin und kann alle Vogelstimmen erkennen, auch die des seltenen Pirols. Im Pertlsteiner Wald habe ich diesen schönen gelben Vogel zum ersten Mal im Leben zu Gesicht bekommen.
    Mutter Maria Antonia, die Priorin, marschiert bei den Mahlzeiten mit einem Wägelchen durch das Refektorium und sammelt die schmutzigen Teller ein. Das ist eine ziemlich untergeordnete Arbeit, aber es gehört zu den Ordensprinzipien, dass es hier keine »niedrigen« Arbeiten gibt. Jede Arbeit ist gleich viel wert. Und es gibt auch keinen Ruhestand. Man arbeitet, so lange man kann, und wenn man, wie die Priorin, schon alt ist, dann räumt man eben das gebrauchte Geschirr weg. Dem Ansehen und der Stellung im Konvent tut das nicht den geringsten Abbruch.
    Mutter Maria Antonias Anblick erinnert mich an einen israelischen Kibbuz, den ich einmal mit Franz besucht habe. Wir waren mit dem ehemaligen israelischen Botschafter in Wien verabredet, der als Junger in der gleichen linkszionistischen Jugendorganisation war wie Franz. Der Diplomat war hochdekorierter General und jahrelang Parlamentsabgeordneter. Nach seiner Pensionierung war er wieder in seinen Kibbuz zurückgekehrt, zu dessen Leitungsteam er gehörte. Als wir nach ihm fragten, wurden wir in den Speisesaal gewiesen, und siehe da, da war der Herr Botschafter, schob ein Wägelchen vor sich her und sammelte die Teller ein, genau wie hier die Priorin von Pertlstein.
    Wäre so etwas auf das normale Leben übertragbar?, frage ich mich. Kann man vielleicht von diesen Leuten etwas lernen? Muss es sein, dass man als leitender Angestellter oder Chef mit Erreichung des Pensionsalters automatisch von einem Leben der hektischen Betriebsamkeit in ein Leben des totalen Nichtstuns entlassen wird? Muss, wer einmal Chef war, auch als Chef in Pension

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