Zukunftsmenue
Semmel länger kaut. Schmeckt sie auch nach dem zwanzigsten Mal Kauen, ist es Qualität.
Was würdest du dir denn für die Zukunft wünschen?
Gute Lebensmittel müssen wieder für alle verfügbar werden. Meine Kunden, vor allem die älteren, finden es super, dass wir im Holzbackofen backen. Sie sagen, dass Erinnerungen aus ihrer Kindheit aufkommen. Aber auch ein Teil der Jugend geht mittlerweile einen anderen Weg. Mit mehr Rücksicht auf die Natur und mit mehr Liebe zum Geschmack. Das Geld spielt nicht mehr die Hauptrolle. Da verändert sich schon einiges.
Was ist denn nun eigentlich in deinem Brot drin?
Nichts als Mehl, Wasser, Salz, Gewürze – und vor allem Zeit.
Zeit, so meint Bäcker Gragger, ist also das wichtigste Qualitätsmerkmal für gutes Brot. Für ein gutes Brot, das seinen Preis hat, ja, haben muss! Ich kenne mittlerweile einige Bäcker, die gerne wieder so backen würden wie früher, aber befürchten, dass die Menschen es nicht honorieren würden. Kann es sein, dass wir lieber auf den Genuss guter, gesunder, nahrhafter und bekömmlicher Lebensmittel verzichten und das Geld stattdessen lieber für Medikamente ausgeben, um unsere Gesundheit zu sanieren und zu schützen? Wer soll überhaupt noch gute Lebensmittel herstellen, wenn keiner mehr danach fragt? Andererseits: Wer soll nach ihnen fragen, wenn es kein Angebot mehr gibt?
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Mit der Eröffnung meiner Holzofenbäckerei in Berlin ist ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen: Wieder Brot essen zu können, wie ich es aus meiner Kindheit kenne.
Darum habe ich für mich beschlossen, mit gutem Beispiel voranzugehen und habe eine Holzofenbäckerei mit Brot aus dreistufigem Sauerteig eröffnet. Ich bin sehr stolz darauf.
WAS IST DREISTUFIGER SAUERTEIG?
Die arbeitsaufwendige dreistufige Führung des Sauerteigs ist der Tradition verpflichtet und ermöglicht es, Brote ohne Backhefe herzustellen. Der Teig steht insgesamt mindestens achtzehn Stunden, für jede der drei Stufen gibt es eine eigene ideale Umgebungstemperatur. In der ersten Stufe bilden und vermehren sich vor allem die Hefen, das dauert zwischen fünf und sechs Stunden. In der der zweiten entwickeln sich die Säuren und Aromen, dazu steht der Teig zwischen acht und vierundzwanzig Stunden. In der dritten Stufe wird das Verhältnis von Essig- und Milchsäuren ausgeglichen, was das Brotaroma verstärkt. Das dauert zwischen drei und vier Stunden.
Bei einstufigen Führungen steht die Säure- und Aromabildung im Vordergrund. Bei diesem Herstellungsverfahren muss zusätzlich Backhefe verwendet werden.
Leben im Überfluss
Es ist schon komisch: Wir alle scheinen ständig Angst zu haben, dass wir binnen zwei Stunden verhungern könnten. Wir gehen mit unseren Kindern auf den Spielplatz, als würden wir eine Reise in ein fernes Land antreten. Ohne Kekse, Saftschorle, Tee, Obst und Cracker gehen wir gar nicht mehr aus dem Haus. Sobald sich unser Kind zu langweilen beginnt, bieten wir ihm etwas zu essen an. So lernen unsere Kinder von klein auf, dass es immer etwas zu essen gibt, wenn sie sich melden. Sie dürfen nicht mehr die kleinste Frustration, den kleinsten Appetit oder gar Hunger ertragen. Die anerzogene Angst, dass uns etwas fehlt, wenn wir nicht dauernd den Mund voll haben oder einen Schokoriegel in der Handtasche wissen, begünstigt die Entwicklung von Essstörungen und Übergewicht.
Ich selbst habe brennenden Hunger nie erlebt. Aber ich kenne viele Situationen, in denen ich nicht immer das essen konnte, was ich gerne gegessen hätte. Es gab Zeiten, da hatte ich so wenig Geld, dass ich der ewig gleichen Nudeln mit Knoblauch und Öl überdrüssig war, mir die Vorstellung von Fleisch aber schlicht und einfach verboten habe. Von Überfluss konnte keine Rede sein.
Damals habe ich häufig an Frau Lambert denken müssen, unsere Nachbarin in Wien, wo ich aufgewachsen bin. Frau Lambert lebte alleine und wohnte direkt unter uns. Sie war klein und zierlich, hatte weißes onduliertes Haar und eine dünne Stimme. Ich bin sehr oft für sie einkaufen gegangen, ums Eck oder zum Lebensmittelgeschäft auf der Landstraße und habe ihr den Einkauf in den dritten Stock getragen. Sie wollte nie besonders viel, entsprechend leicht war das gefüllte Sackerl – eine Baumwolltasche, die immer schon an der Tür hing. Ab und zu durfte ich ihre Wohnung betreten und wurde mit einem Zuckerl belohnt. Eines Tages zeigte sie mir einen Raum neben der Küche. Ich machte große Augen: Der ganze Raum war
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