Zum ersten Mal verliebt
noch so gut ist. Aber du weißt, was auf dich zukommt, wenn du es behalten willst, Rilla.«
»Ich habe mich jetzt zwei Wochen lang um das Baby gekümmert und es hat ein halbes Pfund zugenommen!«, sagte Rilla bestimmt. »Wir warten am besten, bis sein Vater sich irgendwann wieder meldet. Vielleicht will er ja auch nicht, dass es in ein Waisenhaus kommt, während er für sein Vaterland kämpft.«
Gilbert und Anne warfen sich heimlich einen erleichterten Blick zu und lächelten. Und damit war das Thema Hopetown erledigt.
Das Lachen sollte Gilbert aber bald schon vergehen: Die Deutschen waren nur noch zwanzig Meilen von Paris entfernt! In den Zeitungen waren schreckliche Geschichten über zahlreiche Gräueltaten in Belgien zu lesen. In Ingleside machten sich die Erwachsenen langsam große Sorgen.
»Wir verschlingen die Kriegsnachrichten schon richtig«, sagte Gertrude Oliver zu Mrs Meredith. »Wir studieren die Landkarten und verfolgen den Weg der Hunnenarmee bis ins Kleinste. Aber wir können Marschall Joffre leider keinen Rat geben und so muss Paris wohl fallen.«
»Werden sie Paris denn erreichen? Gibt es denn keine mächtige Hand, die noch eingreifen kann?«, murmelte John Meredith ratlos.
»ln der Schule unterrichte ich schon wie im Traum«, fuhr Gertrude fort. »Und wenn ich nach Hause komme, dann schließe ich die Tür hinter mir und marschiere im Zimmer auf und ab. Nans Teppich hat schon eine richtige Spur davon. Der Krieg ist so schrecklich nah! Wir alle werden davon betroffen sein.«
»Jetzt sind die Deutschen schon in Senlis. Nichts und niemand kann Paris jetzt noch helfen!«, jammerte Cousine Sophia. Cousine Sophia las neuerdings die Zeitung und hatte in ihrem einundsiebzigsten Lebensjahr mehr über die Geografie Nordfrankreichs und die Aussprache französischer Namen gelernt als je in ihrer Schulzeit.
»Ich habe keine so schlechte Meinung vom Allmächtigen, und auch nicht von Kitchener«, sagte Susan. »Hier lese ich, dass einer namens Bernstoff aus Amerika sagt, dass der Krieg vorbei ist und Deutschland gewonnen hat. Und Mondgesicht-mit-Schnauzbart soll dasselbe behauptet haben, aber wenn die mich fragen, sollte man die Hühner lieber noch nicht zählen, ehe sie nicht ausgebrütet sind, und Bären leben bekanntlich noch lange, nachdem man ihnen das Fell über die Ohren gezogen hat.«
»Warum unternimmt denn die britische Marine nicht mehr?«, wollte Cousine Sophia wissen.
»Selbst die britische Marine ist nicht in der Lage, auf trockenem Land zu segeln, liebste Sophia Crawford. Ich gebe einfach die Hoffnung nicht auf, trotz Tomaszow und Mobbage und all diesen barbarischen Namen. Liebe Frau Doktor, können Sie mir sagen, ob sich R-e-i-m-s >Reims> oder >Riems< oder >Reems< oder >Rems< ausspricht?«
»Ich glaube, es spricht sich eher wie >Rengs< aus, Susan.« »Schrecklich, diese französischen Namen«, schimpfte Susan.
»Ich habe gehört, die Deutschen hätten dort eine Kirche zerstört«, rief Cousine Sophia. »Ich dachte immer, die Deutschen wären Christen.«
»Das mit der Kirche ist schon schlimm genug, aber was die da in Belgien angerichtet haben, ist noch viel schlimmer«, sagte Susan grimmig. »Als der Doktor vorgelesen hat, dass die sogar Babys mit dem Bajonett erstochen haben, da habe ich gedacht: Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, unserjemchen wäre darunter! Ich war gerade dabei, die Suppe umzurühren, und da hätte ich am liebsten den Suppentopf genommen und dem Kaiser die kochende Brühe persönlich ins Gesicht geschüttet!«
»Morgen! Morgen werden wir erfahren, dass die Deutschen in Paris sind«, murmelte Gertrude Oliver. Sie war ein Mensch, der all die Leiden auf der Welt am eigenen Leibe spürt. Abgesehen von ihrem persönlichen Interesse an dem Krieg konnte sie den Gedanken kaum ertragen, dass Paris in die grausamen Hände dieser Bande fiel, die Louvain niedergebrannt und das Wunderwerk von Reims zerstört hatte.
Doch am nächsten und übernächsten Morgen kam die Nachricht vom Wunder von der Marne. Rilla rannte atemlos vom Büro aus nach Hause und wedelte mit der Zeitung, auf der man schon von weitem die großen roten Schlagzeilen erkennen konnte. Susan hisste mit zitternden Händen die Flagge, Gilbert kam aus dem Haus und murmelte: »Gott sei Dank«, und Anne weinte und lachte und weinte.
»Gott hat seine Hand ausgestreckt und sie mit den Worten berührt: >Bis hierhin - und nicht weiten«, sagte Mr Meredith an diesem Abend.
Rilla sang vor Freude, als sie oben das Baby ins
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