Zum ersten Mal verliebt
einen weiteren Beweis für diese Feststellung lieferte. Gilbert und Anne waren nicht zu Hause. Rilla war oben und überwachte Jims’ Mittagsschläfchen, während sie hingebungsvoll »zwei rechts, eins links« strickte. Susan saß derweil auf der Veranda hinter dem Haus und schälte Bohnen und Cousine Sophia half ihr dabei. Eine friedliche Stille brütete über Gien. Der Himmel war bedeckt von silbernen, schimmernden Wolken und ein zauberhaft purpurfarbener Herbstschleier lag über dem Regenbogental. Das Ahornwäldchen schillerte in allen Farben, und die Heckenrosen mit ihren zarten Schattierungen, die den Gemüsegarten umrankten, waren die reinste Pracht. Nichts deutete daraufhin, dass es Streit gab auf der Welt, und Susan mit ihrer treuherzigen Seele vergaß tatsächlich für kurze Zeit den Krieg, obwohl sie fast die ganze Nacht wach gelegen hatte. Sie hatte anjemchen denken müssen, der jetzt weit draußen war auf dem Atlantik, wo die große Flotte Kanadas erste Armee nach Europa brachte. Sogar Cousine Sophia machte für einen Augenblick kein so trübsinniges Gesicht wie sonst und musste zugeben, dass es an so einem Tag wie heute nichts auszusetzen gäbe, obwohl es zweifelsohne schwül sei und man mit einem verheerenden Sturm zu rechnen habe.
»Die Ruhe vor dem Sturm«, bemerkte sie.
Als ob sie damit den Teufel an die Wand gemalt hätte, erhob sich plötzlich hinter ihnen ein grässliches Getöse. Das heillose Durcheinander von Geknalle, Geklapper, gedämpftem Gekreische und Geheule, das da aus der Küche drang, war unbeschreiblich. Geschirr krachte zu Boden. Susan und Cousine Sophia starrten einander entsetzt an.
»Was ist denn da drinnen los, um Flimmels willen?«, keuchte Cousine Sophia.
»Das muss Mr Hyde sein, der jetzt endgültig den Verstand verloren hat«, brummte Susan. »Das war ja vorherzusehen.« Rilla kam herausgerannt.
»Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
»Das entzieht sich meiner Kenntnis, aber sicher steckt diese besessene Bestie dahinter«, sagte Susan. »Komm ihm bloß nicht zu nahe. Ich werde mal vorsichtig durch die Tür sehen. Da, jetzt zertrümmert er schon wieder was. Hab ich nicht immer gesagt, dass der Teufel in ihm steckt?«
»Wenn ihr mich fragt, leidet dieses Tier an Hydrophobie«, sagte Cousine Sophia mit ernster Miene. »Ich hab mal von einer Katze gehört, die durchgedreht ist und drei Menschen angefallen hat. Alle drei mussten einen schrecklichen Tod sterben und wurden dabei rabenschwarz.«
Trotzdem öffnete Susan die Tür und schaute hinein. Der Fußboden war übersät mit Scherben. Allem Anschein nach hatte sich die Tragödie auf der Anrichte abgespielt, wo Susan ihre blitzblanken Teigschüsseln in Reih und Glied abgestellt hatte. Ein rasender Mr Hyde fegte durch die ganze Küche, den Kopf festgeklemmt in einer alten Lachsbüchse. Blind, kreischend und wahrscheinlich auch noch fluchend jagte er umher, krachte mit seiner Büchse gegen alles, was sich ihm in den Weg stellte, und versuchte dann wieder vergeblich sich das Ding mit seinen Pranken vom Kopf zu zerren.
Das sah so lustig aus, dass Rilla sich krümmte vor Lachen. Susan warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt. Diese Bestie hat immerhin die große blaue Rührschüssel zerbrochen, die deine Mutter nach ihrer Hochzeit aus Green Gables mitgebracht hat. Das ist kein Pappenstiel, wenn du mich fragst. Aber jetzt müssen wir erst mal Zusehen, wie wir diese Büchse von Hydes Kopf runterkriegen.«
»Untersteh dich und rühr ihn an!«, rief Cousine Sophia dazwischen, die plötzlich zum Leben erwachte. »Das könnte dein Untergang sein! Schließ lieber die Küche ab und ruf Albert zu Hilfe.«
»Es ist doch nicht meine Art, Albert bei Familienschwierigkeiten herbeizurufen«, sagte Susan hochmütig. »Dieser Bestie geht es schlecht, und egal, wie meine Meinung über ihn ist, ich kann es nicht ertragen, ihn leiden zu sehen. Er ist nicht verrückt. Jedenfalls nicht verrückter als gewöhnlich.
Aber du halte dich zurück, Rilla, um Klein-Kitcheners willen, und ich werde sehen, was ich tun kann.«
Damit marschierte Susan furchtlos in die Küche, griff sich einen alten Regenmantel des Herrn Doktor, und nach einer wilden Verfolgungsjagd und mehreren furchtlosen Vorstößen und Sprüngen schaffte sie es schließlich, den Mantel über die bebüchste Katze zu werfen. Dann machte sie sich daran, die Büchse mit einem Dosenöffner aufzuschneiden, während Rilla das sich windende,
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