Zum ersten Mal verliebt
haben, weil es eine römisch-katholische Kirche war. Also, ich bin zwar selbst nicht römisch-katholisch, da ich nun mal als Presbyterianerin getauft bin und vorhabe, auch als solche zu sterben, aber ich meine doch, dass die Katholiken dasselbe Recht auf eine eigene Kirche haben wie wir und dass die Hunnen keinen Grund hatten sie zu zerstören. Stellen Sie sich doch bloß mal vor, liebe Frau Doktor, wie das für uns wäre, wenn ein Deutscher herginge und unseren Kirchturm hier zusammenschlagen würde. Ich bin sicher, das wäre genauso schlimm.«
Und in der Zwischenzeit folgten alle jungen Männer dieser Welt, ob reich ob arm, ob aus vornehmer oder einfacher Familie, ob weiß oder braun, dem Ruf des Pfeifers.
»Sogar Billy Andrews Junge geht jetzt und Janes einziger Sohn und Dianas kleinerjack«, sagte Anne. »Priscillas Sohn ist von Japan aus aufgebrochen und Stellas von Vancouver aus und die beiden Söhne von Reverend Jo gehen auch. Philippa schreibt, dass ihre Jungen, ohne mit der Wimper zu zucken, abgereist seien, obwohl sie selbst noch unentschlossen war.« »Jem schreibt, dass sie nun bald los müssen, und er glaubt nicht, dass er vorher noch einmal Urlaub bekommt, weil sie nur wenige Stunden Zeit haben zum Aufbruch«, sagte Gilbert und reichte den Brief an Anne weiter.
»Das ist nicht fair!«, regte Susan sich auf. »Dieser Sir Sam Hughes nimmt überhaupt keine Rücksicht auf unsere Gefühle! Wenn ich mir vorstelle, dass er unseren armen Jungen einfach nach Europa hinüberscheucht, ohne dass wir ihn ein letztes Mal sehen dürfen! Wenn ich Sie wäre, Herr Doktor, dann würde ich das an die Zeitungen schreiben, ja, das würde ich!«
»Vielleicht ist es besser so«, seufzte Anne. »Ich glaube, ich könnte eine zweite Trennung nicht ertragen. Jetzt, wo wir wissen, dass der Krieg doch nicht so bald vorbei ist, wie wir bei seinem ersten Abschied noch gehofft haben. Ach, wenn doch nur - Nein, ich sage es lieber nicht! So wie Susan und Rilla bin ich entschlossen eine Heldin zu sein!« Bei diesen Worten brachte sie immerhin ein kleines Lächeln zu Stande. »So ist es gut!«, sagte Gilbert. »Ich bin stolz auf meine Frauen. Sogar Rilla, meine >Feldlilie<, hat ganz allein ein Rotes Kreuz organisiert und rettet damit ein bisschen Leben für Kanada. Das ist wirklich eine sinnvolle Aufgabe. Rilla, Annes Tochter, wie willst du denn dein Kriegsbaby nennen?«
»Ich warte lieber, bis Jim Anderson sich meldet«, sagte Rilla. »Er wird seinem Kind wahrscheinlich selber einen Namen geben wollen.«
Aber der Herbst war schon fast vorüber, als von Jim Anderson immer noch keine Nachricht gekommen war. Seit er von Halifax aus losgesegelt war, hatte man nichts mehr von ihm gehört. Wie es seiner Frau und seinem Kind ging, schien ihm völlig gleichgültig zu sein. Schließlich beschloss Rilla das Baby James zu nennen, und Susan fand, dass er mit zweitem Namen Kitchener heißen sollte. So wurde James Kitchener Anderson Inhaber eines Namens, der etwas beeindruckender war als er selbst. Die Ingleside-Familie machte daraus kurzerhand »Jims«, nur Susan nannte ihn hartnäckig »Klein-Kitchener«.
»Jims ist doch kein Name für ein christliches Kind, liebe Frau Doktor«, schimpfte sie. »Cousine Sophia findet, er klingt zu frech, und da muss ich ihr ausnahmsweise zustimmen, aber das braucht sie nicht zu wissen. Endlich kriegt dieses Kind auch Ähnlichkeit mit einem Baby, und ich muss zugeben, dass Rilla das ganz wunderbar macht mit ihm, aber das sage ich ihr lieber nicht ins Gesicht, sonst platzt sie noch vor Stolz.
Liebe Frau Doktor, ich werde nie den Augenblick vergessen, als ich das Kind zum ersten Mal sah, wie es, eingewickelt in dieses schmutzige Tuch, in der riesigen Suppenschüssel lag. Es passiert nicht oft, dass Susan Baker die Fassung verliert, aber da war es so weit, das können Sie mir glauben. Ich hatte schon Angst, ich hätte Halluzinationen. Nein, ich hab noch nie von Suppenschüssel-Halluzinationen gehört, hab ich mir da gesagt, also muss die wohl echt sein, und hab langsam wieder aufgeatmet. Als ich dann hörte, wie der Doktor zu Rilla sagte, sie muss für das Baby sorgen, da dachte ich, der macht wohl Witze, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie das wirklich macht oder kann. Aber Sie sehen ja, wie der Kleine sich entwickelt hat, und er hat eine richtig erwachsene Frau aus ihr gemacht. Wenn man etwas wirklich tun muss, liebe Frau Doktor, dann schafft man das auch.«
Es war Ende Oktober, als Susan
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