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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Ihnen nicht. Die Deutschen hatten große Geschütze an der Marne, oder nicht? Aber die Vorsehung hat ihnen trotzdem den Garaus gemacht. Das dürfen Sie nie vergessen. Und das muss man sich vor Augen halten, wenn sich Zweifel einschleichen wollen. Dann muss man sich einfach an den Sessellehnen festhalten, sich aufrecht hinsetzen und sich immer wieder sagen: Große Geschütze sind gut, aber der Allmächtige ist besser, und Er ist auf unserer Seite, egal, was der Kaiser dazu meint. Miss Oliver, ich wäre längst verrückt geworden, wenn ich mir das nicht immer wieder eingeschärft hätte. Meine Cousine Sophia verliert auch leicht den Mut, genau wie Sie. >Um Himmels willen, was sollen wir bloß machen, wenn die Deutschen hierher kommen«, hat sie mir gestern vorgejammert. >Begraben<, habe ich ihr da geantwortet. >Es ist genug Platz da für die Gräber.< Da hat Cousine Sophia gesagt, ich wäre respektlos, aber das stimmt nicht, liebe Miss Oliver. Ich vertraue nur der britischen Armee und unseren kanadischen Jungen. Ich bin wie der alte Mr William Pollock aus Harbour Head. Er ist sehr alt und war lange Zeit krank, und letzte Woche ging es ihm so schlecht, dass seine Schwiegertochter schon dachte, er sei tot. >Ich bin nicht tot, verdammt noch mal!<, rief er da plötzlich. >Und ich denke auch nicht daran zu sterben, ehe der Kaiser nicht besiegt ist!< Sehen Sie, liebe Miss Oliver«, sagte Susan zum Schluss, »das ist die Haltung, die ich bewundere.«
    »Bewundern tue ich die auch, aber ich kann da nicht mithalten«, sagte Gertrude. »Früher habe ich den Schwierigkeiten immer entrinnen können, indem ich mich in ein Traumland flüchtete, und wenn ich zurückkam, hatte ich wieder neuen Mut. Aber dem hier kann ich nicht entrinnen.«
    »Ich auch nicht«, sagte Anne. »Es ist schrecklich, abends zu Bett zu gehen. Dabei bin ich immer so gern zu Bett gegangen und habe die halbe Stunde vor dem Einschlafen genossen, wo ich mir alles Mögliche ausgemalt habe. Jetzt male ich mir immer noch Dinge aus. Aber ganz andere.«
    »Ich bin froh, wenn es Zeit ist zum Schlafengehen«, sagte Miss Oliver. »Ich liebe die Dunkelheit, weil ich dann ich selbst sein kann. Dann muss ich nicht die Tapfere spielen. Aber manchmal nimmt meine Phantasie auch überhand, und dann sehe ich dasselbe wie Sie: schreckliche Dinge, schreckliche Jahre, die auf uns zukommen.«
    »Bin ich froh, dass ich keine solchen Visionen habe«, sagte Susan. »Das ist mir zum Glück erspart geblieben. Hier in der Zeitung steht jetzt zum zweiten Mal, man hätte den Kronprinzen umgebracht. Ob wohl diesmal die Hoffnung besteht, dass er wirklich tot ist? Und hier steht, Woodrow Wilson will wieder einen Bericht schreiben. Na, wenn das sein alter Lehrer sehen würde!«
    Im Januar wurde Jims fünf Monate alt, und Rilla feierte das Jubiläum, indem sie die Strampelhöschen verbannte und ihm richtige Kindersachen anzog.
    »Er wiegt jetzt vierzehn Pfund!«, verkündete sie stolz. »Genauso viel, wie er laut Morgan mit fünf Monaten wiegen soll.« Und inzwischen zweifelte auch niemand mehr daran, dass Jims langsam richtig hübsch wurde. Seine kleinen Backen waren rund und fest und rosig und seine Augen waren groß und leuchtend. Seine Händchen hatten an jeder Fingerwurzel Grübchen. Es wuchsen ihm sogar langsam Haare, sehr zu Rillas heimlicher Erleichterung. Ein zartblonder Flaum bedeckte seinen Kopf, der deutlich sichtbar war, wenn das Licht darauf fiel. Er war ein »gutes« Kind und hielt sich mit seinem Schlaf und seiner Verdauung ziemlich genau an Morgans Vorschrift. Hin und wieder lächelte er, aber richtig lachte er nie, da konnte man sich noch so viel Mühe geben. Rilla machte sich Sorgen deswegen, weil es in Morgans Ratgeber hieß, dass Babys normalerweise im Alter von drei bis fünf Monaten lauthals lachen. Jims war fünf Monate alt und dachte nicht daran zu lachen. Aber warum nicht? Stimmte vielleicht etwas nicht mit ihm?
    Eines Abends kam Rilla spät nach Hause. Sie hatte in Gien auf einer Rekrutierungsversammlung patriotische Texte vorgetragen. Früher wäre es ihr nicht in den Sinn gekommen, vor aller Öffentlichkeit zu sprechen, weil sie Angst hatte zu lispeln, was immer wieder einmal passierte, wenn sie nervös war. Als sie zum ersten Mal gebeten worden war auf einer Versammlung in Upper Gien etwas vorzutragen, da hatte sie abgelehnt. Aber dann packte sie das schlechte Gewissen. War das nicht doch feige von ihr? Was würde Jem von ihr denken, wenn er das wüsste? Zwei Tage

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