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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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ermordet werden. So, jetzt werde ich noch kurz die Zeitung überfliegen, bevor ich Jemchen einen Brief schreibe. Das sind beides Sachen, die ich früher nie getan habe, liebe Frau Doktor: Briefe schreiben und über Politik lesen. Aber jetzt tue ich beides regelmäßig, und ich muss sagen, da ist was dran an der Politik. Was dieser Woodrow Wilson hier meint, geht zwar über meine Hutschnur, aber vielleicht kriege ich das noch raus.«
    Während Susan noch Wilson und die Politik überflog, hielt sie plötzlich inne und rief enttäuscht: »Dieser Teufel von Kaiser ist tatsächlich mit einer Beule davongekommen!«
    »Du sollst doch nicht fluchen, Susan«, sagte Gilbert tadelnd. »Aber das ist doch kein Fluch, wenn ich den Teufel beim Namen nenne, lieber Doktor. Ich habe immer gedacht, fluchen ist, wenn man den Namen des Allmächtigen missbraucht.« »Nun gut, dann ist es eben, wie soll ich sagen, nicht vornehm«, meinte Gilbert und zwinkerte dabei Miss Oliver zu. »Stimmt, lieber Doktor, der Teufel und der Kaiser - vorausgesetzt, das sind wirklich zweierlei Personen - sind wirklich nicht vornehm. Und deswegen kann man sich auch nicht vornehm ausdrücken, wenn man von ihnen redet. Also bleibe ich bei dem, was ich gesagt habe, obwohl Ihnen vielleicht aufgefallen ist, dass ich solche Ausdrücke, so gut es geht, vermeide, solange die kleine Rilla dabei ist. Aber ich finde es einfach unerhört, wenn die Zeitungen den Leuten erst Hoffnungen machen und melden, der Kaiser hätte Lungenentzündung, und hinterher stellt sich heraus, dass er bloß eine Beule hat. Eine Beule, lächerlich! Wenn er wenigstens übersät wäre mit Beulen!«
    Damit marschierte Susan aus der Küche, um sich ans Briefeschreiben zu machen. Jemchens Brief hatte sie offenbar entnommen, dass er ein wenig Trost von zu Hause brauchte. »Heute sind wir in einem alten Weinkeller, Vater«, hatte er geschrieben. »Wir stehen bis zu den Knien im Wasser. Überall sind Ratten. Wir können kein Feuer machen, dazu dieser Nieselregen: schrecklich! Aber es könnte schlimmer sein. Heute ist Susans Paket gekommen und es war alles noch fein geordnet. Wir haben ein richtiges Festmahl gehabt. Jerry ist oben irgendwo an der Front, und er sagt, die Verpflegung sei miserabel. Hier unten geht es, das Essen ist nur eintönig.
    Wir sind seit der letzten Februarwoche unter Beschuss. Einer aus Neuschottland ist gestern gefallen, direkt neben mir. Eine Granate ist in unserer Nähe hochgegangen, und als die Explosion vorbei war, haben wir ihn tot daliegen sehen. Er war kein bisschen verstümmelt, nur ein wenig erschrocken sah er aus. Es war das erste Mal, dass so was direkt in meiner Nähe passiert ist, und es ging ganz schön unter die Haut. Aber man gewöhnt sich hier schnell an das Grauen. Wir sind in einer völlig anderen Welt. Das Einzige, was sich nicht geändert hat, sind die Sterne. Aber irgendwie sind sie nie am richtigen Platz.
    Sag Mutter, sie soll sich keine Sorgen machen. Es geht mir gut, ich bin kerngesund, und ich bin froh, dass ich hergekommen bin. Irgendwas liegt uns im Wege, was beseitig werden muss, das ist alles. Wie ein ausströmendes Gift, das uns sonst das Leben zur Hölle machen würde. Wir müssen da durch, Vater, egal, wie lange es dauert und was es kostet, und das sollst du auch den Leuten in Gien von mir sagen. Die haben noch immer nicht begriffen, was das eigentlich ist, was da ausgebrochen ist. Sogar mir war das nicht klar, als ich mich freiwillig meldete. Ich hielt das Ganze für Spaß. Das ist es weiß Gott nicht! Aber trotzdem bin ich hier am richtigen Platz. Nicht, dass du mich falsch verstehst. Als ich sah, was hier mit den Häusern und Gärten und mit den Menschen geschehen ist, da habe ich mir vorgestellt, wie die Hunnen durchs Regenbogental und durch Gien marschieren und durch den Garten von Ingleside. Genau solche Gärten gab es auch hier, schöne, uralte Gärten, und was ist daraus geworden? Einfach kaputtgemacht und zerwühlt hat man sie! Wir kämpfen, um all die schönen Plätze, wo wir als Kinder gespielt haben, für andere Kinder zu bewahren. Wir kämpfen um die Erhaltung und den Schutz all dessen, was uns lieb ist. Wann immer einer von euch Monday besucht, bitte gebt ihm einen lieben Extraklaps von mir. Dass dieser kleine Bursche so treu auf mich wartet! Wenn ich in diesen dunklen, kalten Nächten in den Schützengräben daran denke, dass tausende von Meilen weit entfernt am alten Bahnhof von Gien ein kleiner Hund sitzt und mit mir wacht, dann

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