Zum ersten Mal verliebt
gelesen haben, ich kann das alles gar nicht beschreiben. Aber die Hunnen sind nicht durchgekommen und es wird auch nicht dazu kommen. Jerry ist einmal bei einem Granateneinschlag umgefallen und hat sich nicht mehr bewegt. Aber es war nur der Schock, in wenigen Tagen war er wieder auf den Beinen. Grant geht es auch gut.« Nan bekam einen Briefvon Jerry Meredith. »Am frühen Morgen kam ich wieder zu Bewusstsein«, schrieb er. »Ich wusste nicht, was passiert war, aber ich dachte, mit mir ist es vorbei. Ich war ganz allein und hatte Angst, schreckliche Angst. Überall um mich herum Tote auf den schrecklichen grauen, schlammigen Feldern. Ich hatte entsetzlichen Durst und ich musste an David und das Wasser von Bethlehem denken und an die alte Quelle im Regenbogental unter den Ahornbäumen. Ich konnte sie richtig vor mir sehen - und dich, wie du lachend auf der anderen Seite stehst -, und ich dachte, es wäre vorbei mit mir. Aber es war mir egal. Wirklich, es war mir egal. Ich hatte nur wie ein Kind so schreckliche Angst vor der Einsamkeit und vor all den Toten um mich herum, und ich fragte mich, was wohl mit mir passiert war. Dann fanden sie mich und fuhren mich auf einem Karren weg, und bald merkte ich, dass ich überhaupt nichts hatte. Morgen gehe ich in die Schützengräben zurück. Dort wird jeder Mann gebraucht, der einsatzfähig ist.«
»Es gibt nichts mehr zu lachen auf der Welt«, sagte Faith Meredith, die herübergekommen war, um zu berichten, was in ihren Briefen stand. »Ich weiß noch, wie die alte Mrs Taylor vor langer Zeit mal sagte, dass es auf der Welt nur Lachen gäbe. Aber das ist wohl vorbei.«
»Die Welt ist ein einziger Schmerzensschrei«, sagte Gertrude Oliver.
»Aber wir sollten versuchen uns ein bisschen Lachen zu bewahren«, sagte Anne. »Manchmal ist Lachen so hilfreich wie ein Gebet. Manchmal«, fügte sie sehr leise hinzu.
In den letzten drei Wochen war es ihr selbst sehr schwer gefallen zu lachen, ihr, Anne Blythe, die früher immer so leicht und so herzlich lachen konnte. Und was noch schlimmer war: Rilla lachte immer seltener, Rilla, die ihrer Meinung nach sonst viel zu viel lachte. Sollte denn Rillas ganze Jugend so überschattet sein? Aber zu was für einer selbstbewussten, intelligenten jungen Frau sie sich entwickelte! Mit was für einer Geduld sie strickte und nähte und wie sie diese launischen Rotkreuzler in den Griff bekam! Und wie wunderbar sie mit Jims umgehen konnte!
»Sie macht das wirklich so gut wie ein alter Hase!«, musste sogar Susan zugeben. »Dabei habe ich ihr das überhaupt nicht zugetraut in dem Moment, als sie mit dieser Suppenschüssel daherkam.«
Ein schwerer Brocken
Susan kam gerade von einem Fußmarsch zum Bahnhof zurück, wo sie Monday mit auserlesenen Knochen versorgt hatte. »Liebe Frau Doktor, ich furchte, es ist was Schreckliches passiert«, verkündete sie. »Mondgesicht-mit-Schnauzbart kam aus dem Zug von Charlottetown ausgestiegen und machte ein fröhliches Gesicht! Ich kann mich nicht erinnern, dass er je in aller Öffentlichkeit ein Lächeln aufgesetzt hätte!
Kann natürlich sein, dass er gerade jemanden beim Viehhandel übers Ohr gehauen hat. Aber ich habe eher das ungute Gefühl, dass die Hunnen irgendwo durchgebrochen sind.« Vielleicht war es ungerecht von Susan, Mr Pryors Lächeln mit dem Untergang der Lusitania in Verbindung zu bringen. Diese Neuigkeit verbreitete sich eine Stunde später, als die Post kam. Aber in der Nacht rotteten sich die Buben von Gien zusammen und warfen ihm vor Wut über des Kaisers Vorgehen die Fensterscheiben ein.
»Ich sage ja nicht, dass das richtig war, was sie gemacht haben, und ich sage auch nicht, dass es falsch war«, meinte Susan, als es ihr zu Ohren kam. »Aber eins kann ich sagen, nämlich, dass es mir nichts ausgemacht hätte, selber ein paar Steinchen zu werfen. Eins steht jedenfalls fest: Mondgesicht-mit-Schnauzbart hat an dem Tag, als die Neuigkeit kam, im Postamt vor allen Leuten gesagt, dass Leute, die trotz Warnung das Haus verlassen, es nicht besser verdient hätten. Und eines weiß ich: Wenn ich tot wäre und dieser Mann käme zu meiner Beerdigung, dann würde ich aufstehen und ihn davonjagen. Norman Douglas schäumt richtig vor Wut. >Der Teufel soll sie holen, die die Lusitania versenkt haben, oder wozu sonst ist der Teufel da?<, hat er gestern in Carters Laden herumgeschimpft. Norman Douglas meint ja immer, sobald einer anderer Meinung ist als er, steckt er gleich mit dem Teufel unter einer
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