Zum ersten Mal verliebt
aufmuntern, damit er wieder so lacht wie früher. Es kommt mir vor, als wenn Walter mir von Tag zu Tag mehr bedeutet.
Neulich hat Susan so nebenbei erzählt, dass im Regenbogental die Maiglöckchen blühen. Ich schaute zufällig Mutter an, als Susan das sagte. Da machte Mutter plötzlich ein ganz ernstes Gesicht und schluchzte auf. Dabei ist sie meistens so munter und lebhaft, dass man gar nicht auf die Idee kommt, sie könnte traurig sein. Aber manchmal bringt sie irgendeine Kleinigkeit aus der Fassung, und dann sieht man, was los ist. >Maiglöckchen!<, sagte sie. >Letztes Jahr hat Jem mir einen Strauß Maiglöckchen geschenkt/ Und sie stand auf und ging hinaus. Am liebsten wäre ich ins Regenbogental hinuntergelaufen und hätte ihr einen Riesenstrauß Maiglöckchen gepflückt. Aber ich wusste, das war es nicht, was sie wollte. Und als Walter gestern Abend nach Hause kam, entschwand er heimlich ins Tal und pflückte alle Maiglöckchen, die er finden konnte. Niemand hatte ein Wort erwähnt. Er hatte sich bloß erinnert, dass Jem Mutter immer die ersten Maiglöckchen brachte, und jetzt tat er es an Jems Stelle. Das zeigt, wie zartfühlend und aufmerksam er ist. Und doch gibt es Leute, die ihm gemeine Briefe schreiben!
Eigentlich ist es komisch, dass wir ganz normal weiterleben können, so, als ob uns das, was jenseits des Ozeans vor sich geht, gar nichts anginge, und als ob es gar nicht stimmt, dass wir täglich mit schlimmen Nachrichten rechnen müssen. Aber wir leben tatsächlich weiter wie immer. Susan ist im Garten beschäftigt und macht mit Mutter zusammen das Haus sauber, und wir vom Jugend-Rotkreuz sind gerade dabei, ein Konzert zu Gunsten der Belgienhilfe auf die Beine zu stellen. Seit einem Monat üben wir schon, aber andauernd haben wir Ärger. Miranda Pryor hatte zum Beispiel versprochen den einen Teil eines Dialogs zu übernehmen. Sie hatte ihren Teil schon fertig auswendig gelernt, da sprach ihr Vater ein Machtwort und verbot ihr mitzumachen. Nicht, dass ich Miranda die Schuld gebe, aber ich finde, sie könnte manchmal ein bisschen energischer sein. Wenn sie hin und wieder mal ein Machtwort sprechen würde, könnte sie ihren Vater vielleicht zur Vernunft bringen. Sie spielt immerhin die Haushälterin für ihn, und was würde er wohl tun, wenn sie einfach mal streiken würde? Ich an Mirandas Stelle hätte keine Schwierigkeiten, Mondgesicht-mit-Schnauzbart zur Strecke zu bringen. Mit der Peitsche würde ich ihm kommen, jawohl! Oder ihn beißen, wenn gar nichts anderes hilft. Aber Miranda ist eben ein braves, gehorsames Mädchen. Ich konnte jedenfalls niemand anderen für den Teil des Dialogs gewinnen, weil er niemandem gefiel, also musste ich ihn wohl oder übel selbst übernehmen.
Olive Keith ist im Konzertkomitee und hat bei allem, was ich vorschlage, etwas auszusetzen. Immerhin habe ich mich durchgesetzt, indem ich Mrs Channing gebeten habe, aus der Stadt zu uns zu kommen und für uns zu singen. Sie ist eine gute Sängerin und wird uns so viel Publikum bringen, dass wir mehr einnehmen werden, als wir ihr zahlen müssen. Olive Keith fand unser »hiesiges Talent< gut genug, und Minnie Clow will jetzt überhaupt nicht mehr im Chor mitsingen, weil sie »viel zu aufgeregt< wäre in Mrs Channings Gegenwart. Dabei ist Minnie die einzige gute Altstimme, die wir haben! Manchmal bringt mich das alles so auf die Palme, dass ich am liebsten alles hinwerfen würde. Aber wenn ich dann ein paar Mal wutschnaubend in meinem Zimmer hin-und hergefegt bin, dann beruhige ich mich wieder und nehme einen neuen Anlauf. Im Augenblick ist mir schon wieder angst und bange, wenn ich daran denke, dass die Reeses womöglich Keuchhusten kriegen. Sie haben sich alle schrecklich erkältet, und es sind immerhin fünf von ihnen, die eine wichtige Rolle in dem Programm spielen, und wenn sie nun plötzlich alle Keuchhusten kriegen, was mache ich dann? Dick Reeses Geigensolo ist einer unserer Höhepunkte, und Kit Reese ist bei jedem Gruppenbild dabei, und die drei kleinen Mädchen zeigen, wie sie Fahnen schwingen können. Ich habe Wochen gebraucht, um es mit ihnen einzustudieren, und jetzt ist womöglich alles für die Katz.
Jims hat heute seinen ersten Zahn gekriegt. Ich bin heilfroh, denn jetzt ist er schon fast neun Monate alt, und Mary Vance hat mir schon oft genug zu verstehen gegeben, dass er mit dem Zähnekriegen längst überfällig sei. Er hat auch angefangen zu krabbeln, aber er robbt nicht wie die meisten Babys, er kriecht auf
Weitere Kostenlose Bücher