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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gepolsterten Blase, meine Frau und meine Kinder zogen engelsgleich an mir vorüber, auch andere merkwürdige Gestalten wie mein ehemaliger Französischlehrer, der Obst- und Gemüsehändler um die Ecke oder irgendwelche Bekanntschaften von früher. Eine unbändige Lawine schien mich mit sich an irgendein Ufer reißen zu wollen. Ich ergab mich im verheerend himmlischen Strudel meines Bewusstseins widerstandslos dem Tod, tauchte hinab bis auf den Grund eines Ozeans und tauschte das Blassblau gegen das Dunkel des Nichts.
    «Das sieht alles ganz normal aus», vernahm ich die Laute, die aus der Wirklichkeit zu kommen schienen.
    «…»
    «Die Schmerzen, die Sie haben, lassen sich auf keinerlei Krankheit zurückführen …»
    «Und der Fleck?», fragte ich, nachdem mir klar geworden war, dass die Haube, unter der ich gelegen hatte, verschwunden war. Die Untersuchung war zu Ende, und der Tisch war wieder an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt.
    «Welcher Fleck?»
    «Na, der Fleck, der Ihnen beim Röntgen aufgefallen war …»
    «Ach ja, genau, das war nur ein Schatten, den ich mir noch mal anschauen wollte, aber da ist nichts …»
    «Sie meinen also, ich werde nicht sterben …»
    «Es kann immer noch passieren, dass Sie jetzt das Krankenhaus verlassen und von einem Auto überfahren werden, aber aus meiner Sicht deutet an sich nichts darauf hin …»
    Er hatte für diesen Satz ein breites Lächeln aufgesetzt, und ich dachte mir, dass ärztlicher Humor doch unerträglich war. Ich stand auf und keuchte «danke …», als hätte er dieses Wunder bewirkt. Auf dem Weg in die Umkleide kam mir in den Sinn, dass das alles gar nicht stimmen konnte. Der Doktor musste sich geirrt haben. Er hatte das Unheil übersehen. Ich war einer von der Sorte, bei der ein bösartiger Tumor sich tückisch hinter mitwissenden Organen versteckt hielt. Ich kehrte noch einmal um:
    «Sind Sie sicher?»
    «Ja. Die Testergebnisse sind einwandfrei.»
    «Kann es vorkommen, dass man bei einer Kernspinuntersuchungnichts feststellt, obwohl da ein Tumor vorhanden ist?»
    «Nein. Man könnte jetzt zwar noch weitere Untersuchungen durchführen, aber das Wichtigste haben wir schon gesehen.»
    «Aber wie erklären Sie sich dann meine Schmerzen?»
    «Die können viele Ursachen haben. Stress hauptsächlich. Entspannen Sie sich. Wenn ich Sie mir so anschaue, denke ich, es ist bestimmt der Stress …»
    «…»
    «…»
    «Und was soll ich jetzt machen? Mich ausruhen, zu Hause bleiben?»
    «Nein, das ist nicht ratsam. Das ist ein Fehler, den viele begehen. Allzu viel Ruhe ist nicht zu empfehlen. Das lindert die Schmerzen nicht und führt nur zu Muskelabbau …»
    «…»
    «Na gut, ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich glaube, Sie müssen noch zur Anmeldung wegen ein paar Formalitäten.»
    Und damit brach er auf zu neuen Abenteuern, neuen Rückenuntersuchungen, neuen Computertomographien. Er hatte recht, ich war total im Stress, vor allem in den vergangenen Tagen. Mir saß die Angst im Nacken, und ich fragte mich, warum mir angesichts der freudigen Mitteilung, die er mir unterbreitet hatte, kein Stein vom Herzen fiel. Hätte ich gern eine schlimme Krankheit gehabt? Komisch, aber in dem Moment, in dem ich mir gedacht hatte, ich würde sterben, hatte ich zugleich gedacht, das würde vieles einfachermachen. Meine Kinder würden sich um mich versammeln, in der Arbeit würde man mich schonend behandeln, meine Eltern würden endlich nett zu mir sein und was weiß ich noch alles, ich hatte mir unbewusst die Flut der Anteilnahme ausgemalt, die die Ankündigung meines bevorstehenden Todes auslösen würde. Und nun stand ich da, ein wenig hinkend und zerstört, aber ich würde nicht sterben. Vielleicht war ich deswegen so deprimiert, als ich das Krankenhaus verließ. In Wirklichkeit wusste ich nach der jüngsten Achterbahnfahrt der Gefühle gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Ich hatte keine tödliche Krankheit, das war die Hauptsache. Ich war eigentlich ganz gesund, basta. Ich hätte einen Luftsprung machen können, wenn nur diese schrecklichen Schmerzen nicht gewesen wären.

30
    Intensität der Schmerzen: 6

Gemütslage: ekstatisch

31
    Allmählich kamen doch Glücksgefühle auf. In vollen Zügen sog ich die frische Luft ein, wie nach einer Wiedergeburt. Ich schwebte auf einer vorübergehenden Wolke der guten Nachrichten und ahnte nicht, was auf mich zukam.
    Bei meiner Ankunft im Büro küsste ich meine Sekretärin etwas forsch auf die Wange. In den USA hätte das bestimmt

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