Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
gleich einen Prozess wegen sexueller Belästigung zur Folge gehabt. Bei uns konnte man sich zum Glück noch zu einer spontanen Gefühlsäußerung hinreißen lassen, ohne dafür vors Oberste Gericht zitiert zu werden.
    «Das ist ja schön, dass Sie so gut bei Laune sind», kommentierte sie.
    «Danke, Mathilde. Geht’s Ihnen gut?»
    «Mir?»
    «Na klar, Ihnen. Oder ist etwa sonst noch jemand hier im Raum?»
    «Nein … nein …»
    «Also: Geht’s Ihnen gut?»
    «Na ja … geht schon … danke …»
    «Wenn Ihnen irgendwo der Schuh drückt, können Sie jederzeit zu mir kommen. Ich bin für Sie da.»
    «Das ist sehr nett von Ihnen.»
    «Das ist nicht nett, das ist nur normal.»
    «Ich frage mich, ob es Ihnen auch gut geht …»
    «Natürlich, sehr gut sogar, danke …»
    Meine plötzliche Liebenswürdigkeit schien Mathilde in arge Verlegenheit zu bringen. Ich war wie der Überlebende einer Schiffskatastrophe, der nach seiner Rettung die ganze Welt umarmen wollte. Mathilde und ich hatten immer einen höflichen und respektvollen Umgang miteinander gepflegt, aber was wusste ich eigentlich schon von ihr? Nichts. Oder so gut wie nichts. Ihre Verblüffung war verständlich. Wir sahen uns in der Arbeit, gaben uns die Akten in die Hand und lächelten uns im Rahmen eines exakt durchkalkulierten Büroalltags, in dem einem normalerweise nicht die leiseste Gefühlsregung entschlüpft, zu. Zu neuen Kollegen war ich im Laufe der Jahre immer weniger in Kontakt getreten. Mein Leben glich einer Maschinerie, die mich langsam abstumpfen ließ. Musste ich erst dem Tod ins Auge blicken, um zu verstehen, dass sich ein
lebendiges Wesen
nicht nur durch das
am Leben sein
auszeichnet? Leider wurden meine Gedanken von den wiedereinsetzenden Schmerzen gestört. Ich schob augenblicklich meine Betrachtungen über das Leben und das, was es noch bringen würde, beiseite und fand mich wieder in meiner misslichen Lage ein. Vor mir lag die neue Akte. Die belangloseste Akte seit der Erfindung der Akte. Ich würde meinen erbärmlichen Kurs fortsetzen. Mir das Gelände einmal anschauen. Immer noch besser, als hier herumzusitzen und über meiner beruflichen Situation zu brüten.
    Von zu Hause das Auto zu holen, dauerte mir zu lange, und so saß ich eine Stunde später im Regionalexpress. Ich wunderte mich, dass es unweit von Paris solche Landschaften gab. In dem Vorort, in dem wir glücklich mit unserem Garten lebten, war mir der Gedanke, dass wir nur wenige Kilometer von landwirtschaftlicher Nutzfläche entfernt wohnten, nie gekommen. Ich sah unterwegs sogar ein paar Kühe. * Meine Konzentration auf die Haltestellen beeinträchtigte dies jedoch nicht, ich wollte diese Odyssee auch nicht unnötig in die Länge ziehen, indem ich meine Station verpasste. In meinem Wagon war ich der einzige Fahrgast. Meine Anwesenheit trug zur Aufrechterhaltung der Linie zu dieser Tageszeit bei. Aber es war merkwürdig, so allein da zu sitzen. Ich bekam Lust, ein bisschen auszuflippen, auf die Sitze zu steigen, mich mal kurz wie ein Rockstar aufzuführen. Doch ich blieb brav auf meiner Bank sitzen. Allmählich verschwammen die Konturen um mich herum. Es gibt auf Zugfahrten immer einen Moment, in dem ich mich frage, wo ich überhaupt hinfahre.
    Schließlich stieg ich aus und atmete tief die Landluft ein. Ziemlich schnell entdeckte ich die Bushaltestelle, von der der Bus abfuhr, der mich zu meinem Ziel führen würde. Ich hatte ihn knapp versäumt. Es war mir ein Rätsel, wieso die Busabfahrtszeiten nicht auf den Regionalexpress-Fahrplan abgestimmt waren. Als wollte man den Leuten den Bus verleidenund sie dahin bringen, sich anders zu organisieren. Aber was mich anging, hatte ich keine andere Wahl. Ich würde hier am Ende der Welt sitzen und warten. Plötzlich fiel mir ein, dass die örtlichen Behörden über mein Kommen gar nicht unterrichtet waren. Mein Besuch würde recht überraschend ausfallen. Ich stand an einem Scheideweg, ein bisschen so wie Cary Grant in
Der unsichtbare Dritte
, allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass mich jemand mit dem Flugzeug verfolgen würde. Ich kam mir vor wie in einem Actionfilm, aber es fehlte irgendwie die Spannung.
    Ich nahm auf einer Bank Platz. Erst musste ich lächeln, dann überkam mich ein gereiztes Lachen. Das war doch grotesk. Warum nahm ich diese Situation hin? Ich wollte meinen Arbeitsplatz nicht verlieren, fertig. Mir blieb gar nichts anderes übrig. Nein, so konnte man das nicht sagen. Hinter dem Schreckgespenst der

Weitere Kostenlose Bücher