Zum Glück Pauline - Roman
vorübergehende Trennung. Ich fand, wenn man sich trennte, musste man schrittweise vorgehen, sich allmählich an den Gedanken, dass man nun doch nicht das ganze Leben zusammen verbringen würde, gewöhnen. Die stufenweise Lösung erschien mir die schmerzloseste. Doch sie wollte einen klaren Schnitt machen, unser Leben mit einem Schlag entzweiteilen. Sie dachte wohl, das tat weniger weh. Unsere Trennungsstrategien waren nicht miteinander vereinbar. Es gibt ja auch zwei Methoden, ein Pflaster abzureißen: mit einem Ruck oder langsam abziehen. Frauen bevorzugen meist die erste Vorgehensweise. In den praktischen Dingen sind sie den Männern immer um eine Nasenlänge voraus.
«Findest du nicht, dass das alles ein bisschen schnell geht?»
«Doch, aber ich will ja, dass es schnell geht.»
«Aber du bist in einer besonderen Situation …»
«Nein … das heißt ja … natürlich … der Tod meines Vaters mag dabei irgendwie eine Rolle spielen … aber es ist einfach so ein Gefühl, das ich schon seit Längerem habe … und du hast es auch … tu nicht so …»
«Aber wir sind doch kein unglückliches Paar …»
«Wir sind aber auch kein glückliches. Wir mögen uns, wir haben viel gemeinsam … aber zwischen uns läuft alles so mechanisch ab …»
«Na und? Das kann sich ja ändern …»
«Ja, vielleicht könnte sich das ändern. Aber ich hab garkeine Lust, was zu ändern. Und du auch nicht. Ich glaube, die Phase, in der sich beide noch mal Mühe geben, haben wir schon hinter uns …»
«Vor Kurzem … warst du noch so liebevoll …»
«Ja, ich glaube, vor ein paar Tagen hab ich dich noch geliebt … in dem Moment, wo ich es für mich ausgesprochen habe, war die Liebe vorbei … aber eigentlich ist unsere Geschichte schon vor längerer Zeit zu Ende gegangen …»
«…»
«Du bist doch auch nicht glücklich. Das sind vielleicht harte Worte, aber ich kenn dich doch in- und auswendig … du bist einfach nicht ausgefüllt, das merkt man dir an. Und seitdem die Kinder nicht mehr da sind, ist alles noch viel schlimmer geworden.»
«…»
Élise redete immer weiter. Wenn man sie so anhörte, konnte man den Eindruck gewinnen, sie habe ihren Monolog monatelang vorbereitet. Sie redete über uns, und an manchen Stellen klang es wie in einem Roman. «Die Ehe funktioniert nur innerhalb einer Familie», genau das hat sie gesagt, oder etwas in der Art. Wir fanden keine gemeinsame Grundlage mehr. Ich vertrat die Ansicht, dass wir bloß ein wenig abzuwarten brauchten. Das Glück lag noch vor uns, dachte ich, aber ich war mir meiner Sache alles andere als sicher. Vielleicht hatte Élise ja recht? Ich liebte sie, aber auf eine etwas schlaffe Weise. Diese Liebe war irgendwie leblos, genauso wie meine Reaktion auf das, was sie sagte. Ich hätte in Tränen ausbrechen, meine Verzweiflung ausdrücken können,aber nichts dergleichen. Es ging mir zwar schlecht, aber es war auch nicht tragisch. Und was mich traurig stimmte, war paradoxerweise genau das: Dass ich in dem Augenblick keinen heftigeren Schmerz spürte.
Wir brachten keinen Bissen hinunter. Das Essen blieb unberührt. Die Bedienung hatte offensichtlich romantische Vorstellungen, denn sie meinte: «Sie müssen wirklich sehr verliebt sein.» Auf diese Bemerkung hin brachen wir in lautes Gelächter aus. Mit etwas Abstand denke ich, dass sie gar nicht so falsch lag. Die ersten Momente einer Liebe und die Trennung bringen einen in ähnliche Lagen: Man sitzt da, schaut sich an und kann nichts essen. Nachdem wir einige Minuten geschwiegen hatten, kam ich noch einmal auf das Glück zu sprechen. «Aber wir sind doch kein unglückliches Paar», hatte ich gesagt, und sie hatte geantwortet: «Wir sind aber auch kein glückliches.» Ich weiß nicht, warum ich mich so auf diesen Punkt fixierte. Er schien mir der springende zu sein. Ich wäre wahrscheinlich nicht auf den Gedanken gekommen, fehlendes Glück zu bemängeln, wenn ich überhaupt nicht unglücklich war. Vielleicht riss mein Körper nun das Gespräch an sich, da mein Geist so träge war. Als mein Rücken sich zu Wort gemeldet hatte, hatte er ja die Meinung vertreten, dass mein Glück einen etwas traurigen Anstrich hätte. Was Élise betraf, so brodelte anscheinend ein gewisser Lebenshunger in ihr, den der Tod ihres Vaters entfacht hatte.
«Wie traurig», sagte ich.
«Ja, es ist traurig.»
«Ich muss dir was sagen …»
«Was?»
«Ich meine, es ist wichtig, dass wir da jetzt darüber reden.»
«Sag schon.»
«Ich hab meinen
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