Zum Heiraten verfuehrt
Zwillingen fast umgerannt.
Sander reagierte prompt und griff ihren Arm, um zu verhindern, dass sie das Gleichgewicht verlor. Das kam so überraschend für Ruby, dass sie im ersten Moment erstarrte und dann erst recht ins Straucheln kam.
Ihr Arm fühlte sich zierlich, fast zerbrechlich an, ganz anders als die kräftigen Körper der Zwillinge. Und ihr Gesicht war so blass, dass man sich fragen musste, ob sie sich anständig ernährte. Die Schlussfolgerung, die sich Sander bei diesem Gedanken aufdrängte, wischte er ungehalten beiseite.
Obwohl er hinter ihr stand, konnte sie den herben Duft seines Aftershaves riechen und die Wärme spüren, die sein Körper abstrahlte. Sofort war die Erinnerung an diesen Kuss wieder da, was bewirkte, dass sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Als ihr bewusst wurde, dass Sander auf ihren Mund schaute, begann sie zu zittern.
Es wäre so einfach, diesem Verlangen nachzugeben, das da in ihm wühlte, so einfach, sie kurz und leidenschaftlich zu küssen, wie sie es vorzuschlagen schien. Sein Körper sehnte sich danach. Er sehnte sich danach, mit der Zunge tief in ihren Mund einzudringen, die Hitze dort auszukosten. Er wollte jedoch noch mehr. Er wollte die schnelle wilde Erlösung, die ihr Körper versprach.
Aber wäre er wirklich bereit, sich mit so einem billigen Kick zufriedenzugeben, mit dem eine Frau wie sie lockte … gelockt hatte zumindest in jener Nacht, in der er ihr das erste Mal begegnet war?
Rubys leises Ächzen brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte sich von ihm losgemacht. Der Moment war vorbei.
„Ist das alles, was ihr mitnehmt?“, fragte er mit Blick auf den ramponierten Koffer.
Als Ruby nickte, verzog Sander verächtlich den Mund. Natürlich wollte sie ihre Ärmlichkeit noch unterstreichen, ihm unter die Nase reiben, wie viel Verzicht sie in den zurückliegenden Jahren hatte leisten müssen. Durch die Heirat bekam sie Zugang zu einem dicken Bankkonto. Bestimmt plante sie bereits ihren ersten Großeinkauf. Er erinnerte sich noch gut daran, mit welcher Lust seine Mutter das Geld seines Vaters zum Fenster hinausgeworfen hatte. Als kleiner Junge war er von dem glamourösen Aussehen seiner Mutter so geblendet gewesen, dass er die Bestechlichkeit übersehen hatte, die sich hinter der glänzenden Fassade verbarg.
Sander hatte gute Lust, Rubys alles andere als dezenten Hinweis einfach zu übersehen, aber damit würde er seine Söhne gleich mitbestrafen. Außerdem hatte er kein Interesse daran, seine Ehe zum Gegenstand von Klatsch und Tratsch zu machen, was zweifellos der Fall sein würde, wenn sie weiterhin so herumlief wie jetzt.
„Die Hochzeit ist am Freitag“, informierte er sie unwirsch. „Am Samstag fliegen wir auf die Insel. Was ist mit der Pille? Nimmst du sie inzwischen?“
„Ja“, bestätigte Ruby.
„Kannst du es beweisen?“
Sofort wurde Ruby wieder von wildem Zorn gepackt. Mit zitternden Fingern zog sie den Reißverschluss ihrer Handtasche auf, kramte einen Moment herum und zog dann den Alu-Streifen heraus, um Sander zu zeigen, wo bereits Pillen fehlten.
Sie hatte wenigstens pro forma auf eine Entschuldigung gehofft, aber die kam nicht. Er nickte nur flüchtig, bevor er zynisch fortfuhr: „Und nachdem du deiner Pflicht Genüge getan hast, erwartest du natürlich, dass ich jetzt ebenfalls meinen Teil beisteuere, richtig? Was im vorliegenden Fall wahrscheinlich heißt, nicht nur deinen alten Koffer durch ein komplettes neues Reiseset zu ersetzen, sondern auch gleich die passende Garderobe mitzuliefern.“
Sein nackter Zynismus traf sie hart in ihrem Stolz, es war, als ob er Salz in eine offene Wunde streute. „Die einzige Verpflichtung, die du mir gegenüber hast, ist es, den Zwillingen ein guter Vater zu sein.“
„Falsch“, korrigierte er sie kalt. „Das ist die Verpflichtung, die ich meinen Söhnen gegenüber habe.“ Ihre Antwort wurmte ihn, weil sie partout nicht in das Bild passen wollte, das er sich von ihr gemacht hatte. Dummerweise schien sie sich einer Charaktereinschätzung zu entziehen, zumindest was seine Überzeugung, dass sie eine schlechte Mutter war, anbelangte. Was ihm das moralische Recht gegeben hätte, sie zu verabscheuen.
„Du brauchst dich wirklich nicht als Opfer zu stilisieren. Dafür gibt es nämlich nicht den geringsten Grund.“ Ihre beharrliche Weigerung, sich in die Rolle zu fügen, die er ihr zugedacht hatte, bestärkte ihn nur in seiner Entschlossenheit, sich selbst zu beweisen, wie recht er hatte.
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