Zum Heiraten verfuehrt
Unterrichtssprache.
Die Unterhaltung, die sie und Sander bezüglich der Zukunft der Zwillinge geführt hatten, war eher ein Frage- und Antwortspiel gewesen, wobei Ruby die Rolle der Fragestellerin zugefallen war, während Sander geantwortet hatte. Das Einzige, was sie über ihre gemeinsame Zukunft wusste, war, dass Sander sich den größten Teil des Jahres auf der Insel aufhielt, die sich seit Jahrhunderten im Besitz seiner Familie befand, obwohl sein Containerschifffahrtskonzern in jeder größeren Hafenstadt der Welt eine Niederlassung hatte. Der Vorstandschef dieses Konzerns war Sander, mit seinem in Athen lebenden jüngeren Bruder als Stellvertreter.
Neben diesem Bruder hatte Sander eine ebenfalls jüngere Schwester – dieselbe, die auf dem Flughafen die Zwillinge entdeckt und Sander aufmerksam gemacht hatte. Sie war verheiratet und lebte auch in Athen.
„Heißt das, dass wir nur mit den Zwillingen zusammenleben? Nur wir vier?“, hatte sie noch einmal misstrauisch nachgefragt.
„Was denn sonst?“, hatte er gekontert. „Vater, Mutter, Kinder, das ist die normale Kleinfamilie, oder?“
Wahrscheinlich war es eine idiotische Frage gewesen. Sie hatte sie nur gestellt, weil sie sich ihr neues Leben immer noch nicht vorstellen konnte – in ihren Augen ein guter Grund für ihre bleibende Beunruhigung. Weil sie sich vor ihm fürchtete, oder weil sie befürchtete, ihn zu begehren? Ihr Gesicht begann wieder zu brennen, als ihr einfiel, in welch tödliche Verlegenheit seine Antwort sie gestürzt hatte.
Es war weit weniger anstrengend, sich mit den praktischen Vorbereitungen zu beschäftigen, statt sich von der komplizierten emotionalen Gemengelage überwältigen zu lassen, auf die es bis heute keine eindeutigen Antworten gab.
Bald würde Sander hier sein. Ruby spürte, wie sich bei dieser Aussicht ihre Kopfschmerzen verstärkten und ihr Magen zu rebellieren begann. Da es ihr nicht ratsam erschienen war anzurufen, hatte sie ihren Schwestern schriftlich von ihren Plänen berichtet. Die Lage war viel zu verworren, um sie am Telefon zu besprechen, deshalb hatte sie nur kurz die Situation geschildert und versprochen, sich bald zu melden. Alles wäre einfacher, wenn sie diesen idiotischen Kuss am ersten Tag ungeschehen machen könnte. Das war eine schlimme Demütigung, an der sie immer noch zu beißen hatte. In ihrer Handtasche war die Antibabypille, die zu nehmen Sander ihr befohlen hatte. Am liebsten hätte sie sich geweigert, mit dem Argument, dass sie entschlossen war, es nie mehr zu irgendwelchen Intimitäten zwischen ihnen kommen zu lassen. Aber die Erinnerung an das wieder erwachte heiße Begehren war noch zu frisch. Eigentlich konnte sie es immer noch nicht fassen, dass das wirklich passiert war. Es war wie eine Explosion gewesen, wie wenn man ein brennendes Streichholz in einen Benzintank wirft. Im Nu hatte alles in Flammen gestanden. Ein Buschfeuer, nach dessen Löschung sie mit dem Gefühl größtmöglicher Verletzlichkeit sowie einem schlimmen Argwohn sich selbst gegenüber zurückgeblieben war.
Sander wollte kein weiteres Kind. Aber lag das denn nicht auch in ihrem ureigensten Interesse? Natürlich wollte auch sie nicht noch ein Kind mit einem Mann, dem sie nicht das Geringste bedeutete, geschweige denn, dass er sie liebte. Liebe? Um Himmels willen, wie kam sie denn jetzt darauf? Hatte sie den gefährlichen Selbstbetrug, der körperliche Begierde zu einem Fantasiegebilde der „Liebe“ hochstilisierte, immer noch nicht durchschaut? Dass diese Art romantischer Liebe nicht mehr war als der törichte Traum eines Teenagers? Bevor Sander sie geküsst hatte, wäre sie jede Wette eingegangen, dass es ihm nie wieder gelingen würde, Macht über sie zu erlangen oder ihr Begehren zu wecken. Und doch waren unter der sengenden Hitze seines Kusses ihre Selbstschutzmechanismen dahingeschmolzen wie Wachs unter der Flamme.
Sie hasste es, sich eingestehen zu müssen, dass sie sich in Bezug auf ihn offenbar weder auf ihren Stolz noch auf ihre Selbstbeherrschung verlassen konnte. Andererseits war es tröstlich zu wissen, dass Sander genauso nah daran gewesen war, die Kontrolle zu verlieren wie sie selbst. Was für eine böse Laune des Schicksals, in zwei Menschen, die sich so unversöhnlich gegenüberstanden wie sie und Sander, ein unkontrollierbares Verlangen füreinander zu wecken, dem sie schutzlos ausgeliefert waren. Es war, als ob da irgendeine fremde Präsenz in ihr wäre, ein Feind, den sie unter allen Umständen
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