Zum Nachtisch wilde Früchte
Löschpapier voller LSD kam er an!«
Major Ritter schwieg. Er wußte, was Boltensterns Anruf bedeutete … es war der in fade Sicherheit verpackte Hilfeschrei eines Ausweglosen.
»Ich kann dir nicht helfen, Alf«, sagte Ritter mit schwerer Zunge. »Wenn mein Junge Beweise auflegt, wird auch Kamerad Breuninghaus nichts mehr bagatellisieren können. Himmel noch mal, warum habt ihr auch damals so'n Quatsch gemacht!«
»Es hat keinen Sinn, jetzt zu jammern, Major. Ich muß Toni unter meine Fittiche bekommen! Toni ist der einzige, der weich werden könnte.«
»Er ist in St.-Tropez.«
»Und Hermann?«
»Noch in der ›Bergwald-Klinik‹.«
»Wenn du noch einmal mit Oberstaatsanwalt Breuninghaus sprechen würdest, Major …«
»Das hat keinen Sinn, Alf.« Konrad Ritter schabte mit dem dicken Zeh seines rechten Fußes seine linke Wade. Er war im Nachthemd, fror, denn seit zwei Tagen regnete es, und Schläfrigkeit lag noch in seinen Hirnwindungen. »Mein Gott, es war doch ein Unfall! Ich weiß überhaupt nicht, warum ihr alle so geheimnisvoll spielt. Gut, gebt dieses LSD zu, wenn ihr's gesoffen habt … es bleibt immer noch ein Unfall, der jetzt diskret behandelt wird, denn wer spricht noch über Erlanger? Ihr seid eben über ein unbekanntes Medikament ausgerutscht, habt nicht die Wirkung gewußt, seid alle Opfer gewesen, und der arme Richard hat's gründlich mit sich selbst getan! Wer will euch einen Vorwurf machen, außer den der Dummheit? Wie kleine Jungen wart ihr, die ein neues Spielzeug ausprobierten und sich dabei die Finger quetschten. Wenn man es so hinstellt, kann mein Junge einen Berg LSD-Beweise zusammentragen – es bleibt bei euch ein Nachtisch, an dem ihr euch den Magen verdorben habt, weil ihr nicht wußtet, wie giftig die Früchte waren.«
Boltenstern legte auf. Knurrend schlurfte Konrad Ritter zurück ins Bett, drehte sich in die Steppdecke und schlief sofort wieder ein. Er übersah nicht, was Boltenstern und Werner Ritter zu Gegnern machte: Der Tod Erlangers war kein Zufall mehr!
»Wir fliegen in einer Stunde nach Deutschland zurück«, sagte Boltenstern am nächsten Morgen. »Ich muß zurück – es geht um ein wichtiges Geschäft!«
Weder Jutta noch Petra Erlanger widersprachen oder fragten nach Einzelheiten. Sie fanden Boltenstern wie verwandelt. Eine Steinfigur war er, mit dem erschreckenden Zauber eines kalten Lebens.
Das Schicksal, so behaupten Sarkastiker, besitzt eine sadistische Veranlagung. Es handelt nicht logisch, sondern pervers. Sokrates, der große Menschenfreund, mußte sich auf Befehl mit einem Schierlingsbecher töten; Barbarossa ertrank dummerweise im Flusse Saleph, als er das Heilige Grab von den Heiden zurückerobern wollte; der Dichter Kleist, der die Freiheit glühend liebte, erschoß sich; Lenin, der die Weltrevolution proklamierte, bekam die Paralyse, und die Beatles werden unsterblich, während den Besieger des Kindbettfiebers – Semmelweis – kaum einer, nur der Mediziner, kennt.
Bei Alf Boltenstern spielte das Schicksal Blindekuh. Es ließ Werner Ritter zuerst zu Schreibert fahren und nicht zu Toni Huilsmann nach St.-Tropez, und es ließ eine Einladung an alle gesellschaftlichen Größen an Rhein und Ruhr schicken:
Generaldirektor Dr. Siegmund Hollwäg von der Mittelrheinischen Stahl- und Walz-Union lud zu einem Sommerfest auf den Rheinwiesen bei Duisburg ein.
Auf den Rheinwiesen südlich Duisburgs wurde ein großes Festzelt aufgeschlagen. Generaldirektor Dr. Hollwäg hatte diese glänzende Idee entwickelt. Bälle in Luxushotels oder alten Jagdschlössern sind ein alter Hut, so hatte er zu seinen Freunden gesagt. Werden wir volkstümlich, praktizieren wir bäuerliches Leben, zeigen wir etwas von erdgebundener Frohnatur: In den Museen stehen wir bewundernd vor den Bildern Breughels mit seiner derben Fröhlichkeit; außerdem wirft man uns vor, wir hätten den Kontakt zur arbeitenden Masse verloren! Gehen wir hinaus ins volle Leben – was dem Walzarbeiter sein Kirmeszelt, das kann der Frau Generaldirektor auch das Festzelt des Sommerfests der rheinischen Industrie werden.
Von diesen Gedanken beseelt, die Beifall fanden, weil sie außergewöhnlich waren, ließ Dr. Hollwäg ein großes Zelt aufbauen. Aber er begnügte sich nicht mit der bloßen Leinwand … um den Rahmen doch etwas exklusiver zu machen, wurde das Zelt ganz mit himmelblauem Samt ausgeschlagen, ein Dielenboden wurde eingezogen, und darauf standen weißgedeckte Tische zwischen gepolsterten Stühlen,
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