Zum Nachtisch wilde Früchte
ungeniert brüllen kann.
Werner Ritter wurde an diesem Abend während eines Gespräches zwischen Generaldirektor Hollwäg und dem Vertreter des Innenministeriums, dem auch die Polizei untersteht, zum Kommissar befördert und erhielt eine freie Planstelle als Leiter einer Dienststelle.
Er wurde nach Emmerich, an die holländische Grenze, versetzt.
Gegen zwei Uhr morgens verabschiedete sich Boltenstern von dem Gastgeber Dr. Hollwäg. Man hatte noch ein kleines Feuerwerk am Rhein abgebrannt und amüsierte sich über drei Fremde, die eingeladen waren, einen guten Smoking trugen, aber während des ganzen Abends allein an einem runden Tisch abseits saßen und die Millionendamen anstarrten.
»Es sind Schriftsteller«, sagte Dr. Hollwäg, wenn er nach den drei Fremden gefragt wurde. »Man soll nicht sagen, wir akzeptierten nicht den Linksintellektualismus! Wir haben das Format, tolerant zu sein. Der eine schreibt Romane, der andere soziale Dramen, der dritte berichtet in der Illustriertenspalte: Ein Pinscher bellt. Ich nehme an, sie fühlen sich unwohl. Der Klassenunterschied ist doch zu groß – aber sie sollen es ruhig spüren! Was soll's, meine Herren: Früher hielt sich jeder kleine Landesfürst seine Hofnarren!«
Man fand diese Bemerkung klassisch, gab sie weiter und erfreute sich am Esprit des Generaldirektors.
»Es ist alles klar, Alf«, sagte Dr. Hollwäg, als er Boltenstern zum Abschied die Hand drückte. »Keine Sorgen mehr. Renitenz wird durch Ordnung besiegt! Besuchen Sie mich doch in den nächsten Tagen mal.«
Boltenstern fuhr nach Düsseldorf zurück in dem Bewußtsein, eine große Schlacht gewonnen zu haben.
Und das Schicksal spielte mit.
Schreibert weigerte sich in der ›Bergwald-Klinik‹, mit Werner Ritter zu sprechen. Dr. Hellerau bedauerte.
»Wenn Sie dienstlich hier wären, Herr Ritter, mit einem Hausdurchsuchungsbefehl oder was man so braucht, bitte … Aber solange Sie Herrn Schreibert privat sprechen wollen, stelle ich mich vor meine Patienten, wenn sie sich weigern.«
Werner Ritter fuhr zurück nach Düsseldorf. Sein nächster Weg sollte nach St.-Tropez führen. Aber dazu kam er nicht. Dr. Lummer empfing ihn mit wackelnder Nase und schob ihm einen Briefbogen über den Tisch.
»Nach Emmerich, mein Lieber«, sagte Dr. Lummer, als Ritter sich mit plötzlich weichen Knien setzen mußte und das Schreiben seiner vorgesetzten Behörde durchlas. »Unter Beförderung zum Kommissar. Nun können Sie sogar heiraten!«
»Man schiebt mich ab«, sagte Ritter leise. »Ich hätte nie gedacht, daß Boltenstern einen so weiten Arm hat.«
»Emmerich ist eine schöne Stadt. Brave Bürger, wenige Delikte … Sie werden sich dort zu einem Schachmeister entwickeln, wenn Sie Schach mögen. Ihr Vorgänger hat sich eine große elektrische Modelleisenbahn-Anlage gebaut und hatte Zeit genug, damit intensiv zu spielen …«
Werner Ritter kniffte den Brief und steckte ihn ein. Mit zitternden Fingern nahm er eine Zigarette aus dem Holzkasten auf Dr. Lummers Schreibtisch. Ganoven-Zigaretten, wie sie genannt wurden.
»Soll ich Beschwerde gegen die Versetzung einreichen?« fragte er stockend. »Was raten Sie mir, Dr. Lummer? Sie sind doch mein kriminalistischer Vater. Können Sie mir helfen?«
»Werden Sie Kommissar, mein Junge, und gehen Sie nach Emmerich. Ich werde Ihren LSD-Fall weiter in der Stille bearbeiten und Ihnen alle Informationen an den Niederrhein weitergeben.«
Werner Ritter sah seinen Chef dankbar an. Zum erstenmal hatte er gute Worte nötig gehabt, und Dr. Lummer hatte die richtigen gefunden.
»Sie sehen mich nicht wie alle anderen für einen Spinner an?« fragte er leise.
Dr. Lummer schüttelte den Kopf. Zum erstenmal bewußt erkannte Ritter, daß Lummer, das ›Kotelett‹, auch sehr ernst sein konnte.
»Ich weiß«, sagte Lummer, »daß der Tod Erlangers ein Verbrechen war. Aber was bedeutet schon Wissen? Eine feste Mauer mit einem Rammbock einzurennen ist leichter, als gegen eine Gummimauer zu prallen. Immer wird man wieder zurückgeschleudert. Es braucht eine Zeit, bis man sich daran gewöhnt hat. Gehen Sie ruhig nach Emmerich … ich mache hier weiter.«
Ein Floh kann einen Elefanten rasend machen, sagt ein afrikanisches Sprichwort.
Man sollte wirklich mehr auf Sprichwörter hören!
Es gibt Gelegenheiten, die sich nur einmal bieten in einem Leben. Hat man ein waches Auge und ein Gefühl für diese günstige Stunde, kann man sein ganzes weiteres Dasein damit beeinflussen.
Für Toni
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