Zum Nachtisch wilde Früchte
drei Stunden, was auch in Emmerich bekannt wurde. »Scheint ein flotter Bursche zu sein!« meinte man bei der Polizei augenzwinkernd. »Nur sollte er damit warten, bis er seine eigene Wohnung hat!«
Wie immer war die Fantasie der Umwelt schmutziger als die Wirklichkeit. Natürlich küßten sich Werner und Jutta, aber das Bett an der Wand ließen sie unberührt, sie setzten sich ans Fenster um den kleinen runden Tisch.
»Ich habe über manches nachgedacht, Werner«, sagte Jutta und rauchte nervös eine Zigarette. »Der Bruch zwischen Vater und dir ist tiefer als je, und Paps verlangt, daß ich mich von dir trenne. Offiziell sogar. Er hat schon mit deinem Vater gesprochen. Es muß eine schreckliche Aussprache gewesen sein.«
Werner Ritter nickte. Er konnte es sich denken, was geschehen war. Der Major hatte getobt, gegen seinen Sohn, gegen Boltenstern, gegen die Kameradschaft, gegen die moderne Jugend, gegen die Bonner Regierung, gegen alles. Welche Sorgen machten sie sich alle! Nur zwischen ihnen, zwischen Werner und Jutta, fiel die Entscheidung, und die Stunde dazu war gekommen.
»Was soll geschehen?« fragte Ritter ganz nüchtern, denn es hatte keinen Sinn, sich selbst mit romantischen Worten zu beschwichtigen.
»Wir heiraten!« sagte Jutta ebenso fest.
»Gegen allen Widerstand?«
»Sind wir nicht erwachsene Menschen, Werner? Wir müssen unser Leben führen, und wir werden es anders führen als unsere Eltern, das weiß ich jetzt!«
»Weißt du, daß du da von dir eine große Entscheidung verlangst?« Werner Ritter sah sie groß an, und Jutta blickte zur Seite. Der Panzer ihrer Stärke fiel ab, und sie konnte ihn nicht mehr halten.
»Ich weiß«, sagte sie leise.
»Es gibt jetzt nur noch Alternativen: dein Vater – oder ich …«
»Warum bin ich denn gekommen, Werner?«
»Es werden für uns harte Wochen und Monate werden, Jutta.«
Sie nickte und tastete nach Ritters Hand. »Ihr redet alle in Andeutungen. Sag mir die Wahrheit, Werner: Was ist mit meinem Vater? Ist er wirklich ein … ein schlechter Mensch …?«
Ritter zögerte und suchte nach einer Zigarette. Was soll man da antworten? dachte er. Himmel noch mal, man kann ihr doch nicht die volle Wahrheit sagen …
Sie hielt seine Hand fest und umklammerte sie. »Lenk jetzt nicht ab, Werner. Sag mir die volle Wahrheit. Belüge mich nicht auch noch!«
Werner Ritter sah an Jutta vorbei gegen die kahle Wand. Wie kann man einer Tochter sagen, daß ihr Vater ein Verbrecher ist?
»Noch habe ich keine Beweise …«, sagte er ausweichend.
»Beweise wofür?«
»Jene Nacht am 21. Mai.«
»Der Tod von Onkel Richard?«
»Ja.«
»Kein Selbstmord?«
»Nein!«
»Mord?«
»Ja!«
»Mein Vater?«
»Der geistige Urheber. Der Mann, der die anderen durch einen LSD-Rausch wie Marionettenpuppen in seinen Händen dirigierte. Den Schal um Erlangers Hals zugezogen hat vielleicht Schreibert … aber den Befehl dazu gab Boltenstern!«
Jutta schwieg. Sie forschte in Ritters Gesicht, als betrachte sie jede Pore, um zu erkennen, wo sich Unsicherheit verbarg.
»Ist … ist das die volle Wahrheit?« fragte sie endlich.
»Was ist Wahrheit wert ohne Beweise? Für mich ist es die Wahrheit … wie andere sie auffassen – du siehst ja, wo ich jetzt bin!«
»Und wie willst du Vater diesen … diesen – ich kann's nicht aussprechen, Werner – beweisen?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde eines Tages den Beweis haben. Es genügt nur, daß ich sicher weiß, daß man damals LSD getrunken hat! Mit diesem Wissen reiße ich jede Mauer ein!«
Werner Ritter stand auf und trat an das Fenster. Der Blick hinaus war nicht erwähnenswert. Er sah auf einen Hinterhof und auf die sich drehenden Trommeln des Waschsalons.
»Nun weißt du alles, Jutta«, sagte er gepreßt. »Es kann zwischen deinem Vater und mir keine Verständigung mehr geben. Was zwischen uns ist, kann nicht beeinflussen, daß ich ein Verbrechen verfolgen und aufklären muß! Es ist dein Vater, ja … und ich weiß, wie die Töchter an ihren Vätern hängen. Ich kann verstehen, wenn du jetzt weggehst und wir uns nie wiedersehen …«
»Aber ich gehe nicht«, sagte sie leise. Sie stand hinter ihm und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Er schrak zusammen, als ihre Locken über seine Wange kitzelten. »Ich bin gekommen, und ich werde immer wiederkommen, und einmal werden wir für immer zusammen sein. Es ist unser Leben, Werner …«
»Du wirst deinen Vater dabei verlieren, Jutta.«
»Ich weiß es, Werner.
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