Zum Nachtisch wilde Früchte
die Adresse, den Maler, an Huilsmann und überhaupt an ein Mittel, das LSD heißen sollte.
»Das ist ja zum Wahnsinnigwerden!« schrie Huilsmann. »Woher sollte ich sonst in Paris die Adresse haben? Hier, vor Ihrer Theke habe ich gestanden …«
Zwei Hausdiener geleiteten Huilsmann vor die Tür, als er weiter den Portier anschrie und sogar beleidigte. In dieser Nacht nahm er wieder ein ganzes Zuckerstückchen mit LSD, versetzte sich in ein in den Wolken schwebendes Land aus Kristall, aber am Morgen saß er bleich und zitternd auf dem Bett und starrte das kleine Stanniolklümpchen an, das auf dem Nachttisch lag.
Nur noch ein Stück Zucker!
Und die grausame wirkliche Welt erdrosselte ihn …
Wie ein hungriges Raubtier rannte Huilsmann einen ganzen Tag lang durch Paris. Er ging unter alle Seine-Brücken, wo die Clochards lagen, die Gammler und Zivilisationsfeinde. Er fragte nach LSD, und alle sahen ihn an aus hohlen Augen, hoben die Schultern und sagten: »No, monsieur! Je ne comprend pas.«
Nur einer sagte ihm die Wahrheit, ein deutscher Gammler, der in Paris das Paradies der Freiheit suchte und es unter den Seine-Brücken fand.
»Die Interpol, mein Herr«, sagte der Freiheitsuchende, dessen Haare lang und lockig waren wie bei einem Mädchen. »Die ist seit einigen Tagen scharf hinterher. Und wenn so einer kommt wie Sie, den keiner kennt, machen sie den Laden sofort dicht.«
Huilsmann gab dem Gammler zwanzig Francs und verließ Paris.
Jetzt gab es nur noch einen, der helfen konnte.
Boltenstern.
Wie ein Frierender zitternd saß er im Zug. Er hatte Angst. Nur noch ein Stück Zucker. Nur noch zwei Nächte Träume. Und dann war die Stimme der roten Mary wieder da – und überall sah er ihren Haarschopf treiben … ein großer Blutfleck auf blauem Wasser …
Herrgott, hilf!
Nein: Boltenstern hilf!
Die Welt bricht über mir zusammen!
Als Wrack kehrte Toni Huilsmann nach Düsseldorf zurück. Und sofort rief er Alf Boltenstern an.
»Komm her!« sagte er kurz und legte dann auf.
Und Boltenstern kam sofort.
13
Die Kriminalbeamten in Emmerich empfingen ihren neuen Chef mit Neugierde und großen Erwartungen. Man hatte ihnen gesagt, der Kommissar Werner Ritter sei ein scharfer Hund, Vater Major a.D. und man habe ihn nur nach Emmerich versetzt, um etwas Schwung in den Laden zu bringen. Das war allerdings schwer, denn wenn die Bevölkerung so brav ist wie die Emmericher und keine Straftaten vollbringt, nutzt der ganze Schneid nichts.
Der Abschied von Düsseldorf fiel Werner Ritter nicht schwer. Glücklose Menschen haben wenige Freunde, aber um so mehr Beobachter, Schaulustige und Schadenfreudige. Im Präsidium hieß es ganz offen, daß Ritter über die Affäre Erlanger gestolpert sei, weil er seinem zukünftigen Schwiegervater eins auswischen wollte. Ritter dementierte diese Flüsterparole nicht, auch Dr. Lummer sah es unter seiner Würde an, hier etwas richtigzustellen, im Gegenteil, es war ganz nützlich, eine Niederlage offenkundig werden zu lassen, die alle weiteren heimlichen Nachforschungen wunderbar verdeckte.
Selbst Konrad Ritter, als Vater über diese Demütigung seines Sohnes maßlos empört, als Kamerad Boltensterns aber ebenso empört über seinen Sohn, sagte zum Abschied: »Man kann nicht gegen den Wind pissen, mein Junge, ohne sich selbst vollzumachen. Das ist eine alte Landserweisheit! Hättest du gedient, würdest du das kennen! Ich sage immer: Die beste Schule des deutschen Mannes ist das Militär!«
In Emmerich verbreitete Ritter durchaus nicht den Eindruck eines ›scharfen Hundes‹. Er war zu allen freundlich, studierte die noch nicht abgeschlossenen Akten über die kleinen Alltagsgaunereien, ließ sich vom bisherigen kommissarischen Leiter einen Vortrag halten über die Lage der Kriminalpolizei im Grenzgebiet und kommandierte in Zusammenarbeit mit der Schutzpolizei gleich als Einstand in sein neues Amt eine Suche nach einem Wilddieb.
Schon am dritten Tag kam Besuch nach Emmerich.
Jutta.
Werner Ritter wohnte in einem Hotelzimmer, bis man eine Junggesellenwohnung gefunden hatte, in einem Neubau, der kurz vor der Vollendung stand.
»Es ist schön, daß du den Verfemten besuchst«, sagte Ritter bitter und küßte Jutta mitten in der Hotelhalle, was sich schnell in Emmerich herumsprach. »Was bringst du aus Düsseldorf mit?«
»Mich, Werner«, sagte Jutta unbefangen, und Ritter fand, daß dies auch das Schönste aus Düsseldorf war.
Sie gingen zusammen in Ritters Zimmer und blieben dort
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