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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unheimliche Kräfte. Doch dann sah sie die Küste, einen fahlen Strich über dem Wasser, und das Boot mit Huilsmann war wie ein kleiner Vogel, der fröhlich ins Wasser stößt und wieder auftaucht und wieder hineinstößt und aufflattert und sich freut, daß das Wasser schäumt und er mit den Wellen spielen kann.
    Die rote Mary schloß die Augen. Und dann schrie sie wieder, aber es war mehr ein Kreischen, ein helles, sirenenhaftes Heulen, ein Zerbersten ihrer mit Grauen angefüllten Seele.
    Es stirbt sich schrecklich mit vollem Bewußtsein …
    Vier Tage später wurde die Leiche eines nackten rothaarigen Mädchens bei Cap Camarade angeschwemmt. Fischer fanden den unförmig aufgetriebenen, gar nicht mehr schönen Körper zwischen den Klippen schaukelnd. Da niemand die Tote kannte, niemand sie vermißte, wurde sie auf dem kleinen Dorffriedhof begraben. Die Frau des Mesners setzte ein kleines Holzkreuz auf den Erdhügel, denn es war anzunehmen, daß die Tote ein Christenmensch gewesen war. Die Meldung, die in allen Zeitungen stand, daß eine unbekannte Frauenleiche angeschwemmt sei, wurde kaum beachtet.
    Die Riviera war weit entfernt, und wer ins Wasser geht, muß damit rechnen, daß er ertrinkt.
    Anders sah es bei Toni Huilsmann aus.
    Er war kein geborener Mörder. Ihm fehlte die Kälte, Geschehenes zu vergessen. Er begann seit diesem Tage vor sich selbst zu flüchten, ja, er rasierte sich sogar nicht mehr, weil er den Blick seiner eigenen Augen nicht mehr ertragen konnte, die ihn aus dem Spiegel anstarrten und ihm sagten: So sieht ein Mörder aus!
    Er begann zu verfallen.
    Am Tage lief er herum, suchte einsame Buchten, hockte sich auf Klippen und saß an steinigen Stränden, starrte auf das spiegelnde Meer und kam nicht davon los, überall die roten Haare Marys auf dem Wasser treiben zu sehen … ein Blutfleck in der Bläue des Wassers. Ein Motiv für einen abstrakten Maler.
    Wenn der Abend über St.-Tropez dämmerte und in den Bars das wahre Leben der Riviera begann, die Jachten sich illuminierten und der Hafen zur Kulisse langmähniger Mädchen wurde, verkroch sich Huilsmann in sein Zimmer, legte sich ins Bett, trank ein Glas Sekt und löste im letzten Glas der Flasche ein halbes Stück Würfelzucker mit LSD auf.
    50 Mikrogramm.
    Die Dosis der vorsichtigen Anfänger.
    Für Huilsmann wurde sie die einzig mögliche Flucht vor sich selbst. Vor seinen Gedanken. Vor dem Schrei der roten Mary, den er durch den Motorenlärm gehört hatte und der in seinen Ohrwindungen klebte wie Schmierfett. Dieser Schrei bohrte sich in sein Gehirn, und es gab nur eine Möglichkeit, ihm zu entgehen, ihn zu betäuben, zu ersticken … der Rausch der violetten Zauberwelt, die ein halbes Stückchen Zucker mit LSD heranholte.
    An dem Abend, als man den Körper der roten Mary in den Klippen von Cap Camarade fand und in den Nachrichten des Rundfunks kurz die Meldung brachte, nahm Huilsmann ein ganzes Stück Zucker.
    Er wälzte sich in einem herrlichen Traum, durchwanderte eine glückliche Welt, und als er gegen Mittag des nächsten Tages erwachte und die Nüchternheit der Wahrheit ihn wieder überfiel, erkannte er mit maßlosem Schrecken, daß er ohne dieses LSD nicht mehr leben konnte.
    Die Wirklichkeit war für ihn zum Alptraum geworden – die fantastische Welt des Rausches wurde sein einziger erträglicher Lebensraum. Er hatte sich mit dem Satan verbündet und erkannte die Hölle plötzlich als Paradies.
    Am sechsten Tag geriet Huilsmann in eine Panik. Seine Flucht in die Unwirklichkeit war begrenzt. Nur noch zwei Stückchen LSD-Zucker hatte er … vier Tage Vergessen nur noch, wenn er sie halbierte. Was sind vier Tage in einer Welt, die einem Gebirge gleicht, das über einem zusammenstürzt?
    Toni Huilsmann verließ St.-Tropez an dem Tag, an dem der Körper der roten Mary einsam, nur begleitet von dem Pfarrer, der Frau des Mesners und dem Totengräber, auf dem steinigen Dorffriedhof begraben wurde.
    Er fuhr nach Paris. Er suchte das Maleratelier auf dem Montmartre.
    Es war leer. Die Concierge berichtete, daß der Maler ausziehen mußte, weil er alles Geld, das er verdiente, und viel war's nicht, versoffen und mit Rauschgift vertan hatte. Hinausgeworfen hatte man ihn, mitsamt seinem Modell, das sich die Augen schwarz ummalte wie eine Brillenschlange.
    Toni Huilsmann ließ sich zu dem Hotel fahren, in dem er damals die Adresse des Malers erhalten hatte. Aber der früher so freundliche Portier war zugeknöpft und erinnerte sich keinesfalls an

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