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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ab, oder ich schlage dir in die Fresse! Du weißt genau, was der Film aufgezeichnet hat! Deine Sicherheit ist nichts als Angst! Siehst du denn nicht, wie sinnlos es ist, zu bluffen? Soll ich dir sagen, was der Film zeigt?«
    »Bitte«, antwortete Boltenstern. Sein Herz wurde plötzlich schwer. Es kann nicht sein, dachte er. Schreibert kann den wahren Inhalt nicht kennen. Es ist dumm von ihm, mich auf diese Art unsicher machen zu wollen.
    »Der Film zeigt, wie wir alle umeinanderkugeln, in einem Rausch deines verfluchten LSD! Jeder von uns hat seine Träume, aber jeder reagiert anders darauf. Unsere Körper, unsere Bewegungen sind anders als das, was wir im Rausch erleben. Ich war ein gehetztes Nerzmännchen in Sibirien, ein Jäger wollte mich töten, er kletterte mir nach auf die Bäume, schließlich war es nur noch sein runder Kopf mit den glitzernden Augen und dem vereisten Bart, der mir von Baum zu Baum nachsprang … Aber während ich das träumte, war ich willenlos, meine Persönlichkeit war gespalten, und während die eine Hälfte in der Taiga als Nerzmännchen um sein Leben flüchtete, wartete die andere Hälfte auf deine Befehle. Und sie kamen! Du befahlst mir, Richard Erlanger zu erwürgen, und ich tat es, willenlos, wie ich war, und ohne es zu wissen! Das zeigt der Film, nicht wahr?«
    Boltenstern war es, als umgebe ihn feuchter Nebel. Die Marschmusik, der Klang der Hunderte Stiefel, die an der Tribüne vorbeidefilierten, die Vielzahl der Stimmen, alles versank in graue Feuchtigkeit. Auf seiner Haut bildete sich eine Schweißschicht, und es war ein kalter Schweiß. Totenschweiß.
    »Komm!« sagte er rauh.
    »Wohin?« fragte Schreibert wieder.
    »Weg von hier. Toni, du und ich müssen über das alles sprechen. In einer halben Stunde. Oder willst du den Vorbeimarsch stören? Nach der Parade hält v. Rendshoff noch eine kurze Ansprache … und dann treffen wir uns in einer stillen Ecke und werden alles klären.«
    Boltenstern wollte sich umwenden und zurück zur Tribüne gehen, aber Schreibert hielt ihn fest. Er hieb seine Finger wie Krallen in den Ärmel Boltensterns. Sein Gesicht war fürchterlich verzerrt, der Kopf eines unbekannten Wesens, das vielleicht vom Mond kommt und Abbild der Kraterlandschaft ist.
    »Ist … ist es wahr, Alf?« keuchte Schreibert. Ganz nahe war sein entstelltes Gesicht, so dicht bei Boltenstern, daß dieser den Atem spürte und roch. »Mensch, sag ein klares Nein oder Ja! Ist es wahr so? Habe ich Richard auf deinen Befehl umgebracht? Bist du sein wirklicher Mörder … wegen Petra, wegen der Millionen, wegen der Geschichte damals vor 13 Jahren, als du bei Petra unterlagst … So sag doch etwas, Alf! Nimm doch den Druck von mir, schuldig zu sein!«
    »Gehen wir hinter das Festzelt, Hermann.« Boltenstern verlor nicht die Ruhe. Er war versucht, sich selbst zu bewundern. Immer hatte er sich vorgestellt, wie er in jenem Augenblick reagieren würde, der jetzt eingetreten war, und immer hatte er keine befriedigende Antwort gefunden. Aber so, wie er sich jetzt benahm, wie er dachte, wie er plante, war es einfach vollkommen und bewundernswert. »Wir warten dort, bis der Rummel vorbei ist. Dann hole ich Toni. Oder willst du so, wie du bist, zur Tribüne kommen?«
    »Ich habe mir mein Gesicht nicht selbst zerfetzt!«
    »Aber es sind viele Damen auf der Tribüne. Wenn du wenigstens deine Maske –«
    »Ich setze keine Maske mehr auf!« sagte Schreibert laut. »Ich bin so, wie ich bin, und es kotzt mich an, daß ihr alle anders sein wollt, als ihr seid! Ich bin in diesen Wochen anders geworden, Alf! Ich gehöre nicht mehr zu eurem heuchlerischen Klub!«
    »Das befürchte ich auch«, sagte Boltenstern kühl. »Aber trotzdem appelliere ich an dich als Kavalier, den Damen auf der Tribüne deinen Anblick zu ersparen.«
    Schreibert wollte noch etwas entgegnen, aber dann winkte er sich selbst ab und wandte sich um. Es hatte keinen Sinn mehr, Boltenstern einen Blender zu nennen – was kam dabei heraus? Nur die Wahrheit war noch zu klären, und dann die Abrechnung für ein auf immer verlorenes Gesicht. Ich werde ihn zwingen, sich der Polizei zu stellen, dachte Schreibert, als er langsam zu dem Bierzelt ging. Das wird seine größte Strafe sein, größer als jeder folgende Richterspruch: Er muß sich selbst zu Grabe tragen, er, der sich selbst so liebt wie nichts, was um ihn lebt. Der Tod des Narziß …
    Boltenstern folgte Schreibert. Zweimal drehte er sich um und blickte zur Tribüne zurück. Er

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