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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zwischen die Schultern gezogen.
    Kameraden! Jungs! Kerls! Denkt an Meseritz! Denkt an die Gefangenschaft! Sibirien! Die Wälder bei Tobolsk! Die Sägewerke von Jarzewo! Die Flößerei auf dem Jenissei! Das Hungerlager bei Asbest! Das Lazarett von Larjak!
    Jungs! Ihr könnt es doch nicht vergessen! Auch wenn es fast zwei Jahrzehnte her ist! Ihr seid doch Freunde –
    Er war stehengeblieben und begriff einfach nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Die Marschmusik – noch immer der gute alte Fridericus Rex – umdröhnte ihn wie ein Gewitter, das den gesamten Himmel zerreißt.
    »Schreibert!« schrie Konrad Ritter, als sich Boltenstern und der Gesichtslose zwei Schritte entfernt gegenüberstanden. »Boltenstern! Stehengeblieben!«
    Seine Stimme war schrill, überschlug sich, brach aus seinem Mund. Er riß beide Arme empor, wie damals in Meseritz, als die sowjetischen Panzer aus dem Wald brachen und auf sie schossen wie auf armselige flüchtende Hasen.
    Boltenstern und Schreibert blieben wirklich stehen. Aber nicht, weil sie den Aufschrei Ritters hörten, sondern weil sie nahe genug waren, um einander in die starren Augen zu blicken.
    »Guten Tag, Hermann!« sagte Boltenstern gepreßt. »Ich freue mich, daß du doch noch gekommen bist. Ohne dich wäre das Divisionstreffen halb so schön gewesen. Der General will dich sprechen …«
    Schreiberts verkrustete Lippen kräuselten sich. Es sah schrecklich aus; der Zerfall eines Gesichtes im Zeitraffertempo.
    »Ich habe meine Maske abgenommen«, sagte Schreibert dumpf. »Warum trägst du deine noch immer, Alf? Nimm sie ab …«
    »Hermann, ich möchte …«
    »Nimm sie ab!« schrie Schreibert grell. »Ich kann keine Masken mehr sehen! Sei so, wie du bist …«
    Boltenstern zog das Kinn an. Eisige Kälte durchflutete ihn. Er betrachtete Schreiberts schrecklich entstelltes Gesicht und hatte Mühe sich vorzustellen, wie er früher einmal ausgesehen hatte: etwas dicklich, gemütlich, genüßlich, mit einem Schuß Spießertum, das eine glatte Lüge war, denn wenn einer aus dem Freundeskreis zu leben verstand, war es Hermann Schreibert gewesen.
    Hinter den Tribünen her kam ein Motorrad gerast. Ordner Nummer 2 hatte endlich den Major Ritter entdeckt und kam in einer wirbelnden Staubwolke zu dem Karussellplatz. »Herr Major!« brüllte er durch den Motorenlärm. »Wir suchen Sie! Es gibt Krach mit der 3. Kompanie! Sie wollen ein Transparent spannen! Kommen Sie schnell!«
    Ritter wischte sich über das Gesicht. »Es ist zum Kotzen«, stotterte er. »Immer alles auf einmal!« Dann siegte sein militärisches Gewissen, er kletterte auf den Soziussitz des Motorrades und ließ sich zu den bereitstehenden Truppen entführen. Aber er sah noch mehrmals zurück zu den beiden einsamen Gestalten auf dem Platz vor der Schießbude, und er war zufrieden, daß sie nicht aufeinander stürzten wie zwei Hirsche.
    »Komm«, sagte Boltenstern ruhig, als Ritter hinter den Tribünen verschwunden war.
    »Wohin?« fragte Schreibert und setzte seinen Hut wieder auf.
    »Zu den anderen.«
    »Wer ist alles da?«
    »Der ganze Verein.«
    »Auch Toni?«
    »Natürlich. Und Petra Erlanger …«
    »Deine zukünftige Frau.«
    »Ja.«
    »Und darum mußte Richard Erlanger sterben …«
    Boltenstern schob die Unterlippe vor. Schreibert sah es und lächelte. Wenn ein Mensch ohne Gesicht lächelt, sind die Fratzen der Alpträume wie eine Kinderzeichnung.
    »Du hast mir eine Million geboten, wenn ich schweige«, fuhr Schreibert fort. »Für jede Backe 500.000!«
    »Es bleibt dabei«, sagte Boltenstern knapp. »Oder willst du mehr?«
    »Ich verzichte auf dein Mistgeld!« Schreibert reckte den Kopf vor. »Ich will nur eines, und das ist ganz umsonst: Ich will den Film sehen, den Toni von dieser Nacht gedreht hat!«
    »Bitte. Ich werde mit Toni sprechen!« sagte Boltenstern mit einer unbegreiflichen Kälte. »Ich glaube kaum, daß er es tut.«
    »Toni sitzt dort auf der Tribüne. Ich brauche keine Vermittlung … ich rede allein mit ihm!« Schreibert lächelte wieder. »Ich bin sicher, daß er mir den Film vorführt.«
    »Willst du sehen, wie du Richard langsam erdrosselt hast? Wie du über ihm kniest und singend den Schal zuknotest? Wie du hinterher um seinen verkrümmten Körper kriechst wie ein Molch, der Spinnen sucht? Weißt du, daß Toni mit diesem Film dich jederzeit der Polizei ausliefern kann?«
    »Nimm deine Maske ab, Alf …«, sagte Schreibert wieder und ballte die Fäuste. »Himmel, nimm deine aalglatte Maske

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