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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Es war mühsam, die Stangen gerade zu halten. Schließlich war man ja aus der Übung.
    General v. Rendshoff straffte sich. Der 91jährige v. Kloph legte die Hand an den mumifizierten Kopf.
    »Hurra dem Kaiser!« rief er mit dünner, heller Greisenstimme. Sein Salut ging unter im einsetzenden Marsch des Musikzuges.
    Fridericus Rex …
    Der Zug schwenkte ein. Es klappte wie in alten Zeiten. Tambour und Musikmeister marschierten im Stechschritt vor die Kolonne. Die Klöppel flogen bis über die Köpfe. Erster Beifall rauschte auf. Die Augen v. Rendshoffs leuchteten blau.
    Major Ritter lehnte neben Hermann Schreibert an der Holzwand der Schießbude. Der Schweiß rann ihm über die Augen.
    »Mein Gott, Hermann, was ist denn?« fragte er. »So sag doch ein Wort. So habe ich dich noch nie gesehen … nicht mal damals in Sibirien, als vor unseren Augen Willi in die Säge geriet und durchgeschnitten wurde …«
    »Komm!« sagte Schreibert. Seine pfeifende Stimme war in diesem Augenblick hohl wie ein Holzrohr, an das jemand klopft. »Komm. Sehen wir uns die Parade an …«
    Mit langsamen Schritten ging er über den Festplatz, der blumenleuchtenden Tribüne zu.
    Alf Boltenstern sah ihn kommen und erhob sich. Niemand bemerkte es.
    Die Fahnenkompanie marschierte vorbei.
    Es war ein herrliches Bild. So etwas fesselt die Augen.
    Mit festem Schritt ging Boltenstern Schreibert entgegen. Der Staub von Hunderten paradierender Beine quoll als träge Wolke über das Land. Der Wind stand günstig, er wehte zur Pegnitz hin.
    Hermann Schreibert nahm seinen Hut ab, als er Boltenstern von der Tribüne kommen sah. Hinter ihm her lief Major Ritter wie ein verstörtes, verirrtes, ängstliches Hündchen.
    Sie kamen aufeinander zu wie zwei einsame Gegner in der Wüste. Niemand schien mehr um sie zu sein; allein nur sie waren auf der Welt, sich allein sahen sie, hörten ihre Schritte, belauerten ihre Bewegungen, warteten auf die Sekunde, da sie aufeinanderprallten wie zwei Züge, die auf dem gleichen Gleis liefen, ohne Möglichkeit, auszuweichen.
    An der Tribüne vorbei zog nach dem Fahnenkorps nun ein kleiner Block ehemaliger Offiziere. Ein bißchen weniger zackig, mit der lässigen Art der Kollegialität. General a.D. v. Rendshoff nickte ihnen gütig zu. Kameraden, dachte er, Freunde, Kampfgenossen, welch ein Augenblick! Der deutsche Geist erwacht wieder! So etwas macht die Augen feucht.
    Neben ihm wurde der 91jährige v. Kloph unruhig. Er wackelte mit dem Mumienkopf, legte die zittrigen Hände über die Augen und versuchte, in den Staubwolken, die unter den marschierenden Stiefeln aufquollen, etwas zu erkennen.
    »Es ist ja gar nicht Seine Majestät …«, sagte er entrüstet, als die Fahnenkompanie vorbeigezogen war. »Es ist ja der Führer! So etwas! Gehen wir, v. Rendshoff! Ein dummer Gefreiter! Ich möchte weg von hier!«
    Er beugte sich aus dem Rollstuhl, zog v. Rendshoff am Ärmel und zitterte vor Empörung.
    Bei den aufgestellten Kompanien, die Ordner 3 bis 6 losschicken sollten, gab es wieder Streit. Es ging um ein Transparent, das die 3. Kompanie mitführen wollte und auf dem stand: ›Deutschlands Jugend ein Vorbild – das Ideal der Eltern!‹
    »Es geht nicht, Leute!« schrie der Ordner Nummer 5. »Erstens habt ihr das Schild nicht angemeldet, zweitens ist es unmilitärisch, mit Transparenten zu marschieren, drittens riecht das nach östlichem Wind, und viertens ist es Blödsinn, so 'n Schmarren mitzuführen!«
    »Die 3. Kompanie marschiert nicht ohne dieses Schild!« brüllte der Oberleutnant Dr. Pfannenmacher zurück. Er war Fabrikant für Brotbeutel und belieferte auch die Bundeswehr. »Ist die Wahrheit schon wieder verboten? Dürfen wir keine Ideale mehr haben? Ist der uralte Wehrgedanke schon wieder verpönt?! Entweder das Transparent vor der Kompanie – oder wir treten nicht an!«
    Ordner Nummer 5 begann zu schwitzen. »Das muß Major Ritter entscheiden!« rief er und wedelte mit einem Taschentuch über sein gerötetes Gesicht. »Wo ist der Major! Hat ihn jemand gesehen?«
    Konrad Ritter war unterdessen stehengeblieben, als sich Boltenstern und Schreibert auf sechs Schritte genähert hatten. Ihn umgab so etwas wie ein luftleerer Raum. Er glühte und bekam keinen Atem und hörte sein Herz schlagen wie eine Kesselpauke. Was ist das bloß? dachte er erschrocken. Mein Himmel, was gibt das da?! Sie gehen sich entgegen wie zwei Mörder. Sie haben die Hände an den Seiten hängen, aber die Finger sind gespreizt und die Köpfe

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