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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sah, wie Petra Erlanger sich von der Sitzbank erhoben hatte und zu ihm herüberstarrte. Da winkte er ihr zu, fröhlich, beruhigt, jungenhaft, mit einem sonnigen Lächeln auf dem Gesicht, und wieder bewunderte er sich, daß ihm dieses Lächeln nicht schwerfiel, sondern fast wirklich aus seinem Herzen kam. Ein Lächeln, das nichts mehr gemeinsam hatte mit den Gedanken, die ihn beschäftigten.
    An der Tribüne zog jetzt das zweite Musikkorps auf. Die Zuschauer klatschten begeistert. Der Tambour, Oberfeldwebel Ludwig Henneswald, war schon 1943 eine Berühmtheit: Er konnte beim Stechschritt die Beine waagerecht hochwerfen, eine ballettreife Leistung, die ihn für allen Kriegseinsatz tabu werden ließ, denn für Paraden, vor allem vor Staatsbesuchern, wurde er ausgeliehen und demonstrierte mit blitzenden Stiefeln, was ein deutscher Vorbeimarsch ist. Er war der Star unter den Tambouren, dem sogar Hitler einmal die Hand gedrückt hatte, was 1946 bei der Entnazifizierung schwer ins Gewicht fiel. Auch heute noch, im Alter von 45 Jahren, war Ludwig Henneswald ein Marschierer von Gottes Gnaden … sein heutiger Parademarsch war wieder ein Glanzstück, die Damen klatschten enthusiastisch, General v. Rendshoff winkte ihm zu, nur der greise General v. Kloph sagte fast weinerlich: »Wie kann man einem Gefreiten applaudieren? So eine Schande! Kamerad, entfernen Sie mich!«
    Der zweite Block marschierte heran. Die 3. Kompanie ohne Transparent und ein wenig vergrämt. Major Ritter hatte den Streit mit einem salomonischen Spruch geschlichtet: Kein Spruchband bei der Parade, dafür spannt man es im Bierzelt an der Stirnseite auf! Im letzten Augenblick – die 2. Kompanie marschierte schon los – hatte Ritter diese Lösung erreicht; nun saß er auf einem Klappstuhl neben den noch wartenden Marschkolonnen und trank mit langen Zügen eine Flasche Zitronenlimonade. Er war erschöpft. Alles kann man nicht allein machen, sagte er sich mit tiefer Bitterkeit. Und die anderen benehmen sich wie Halbidioten. Wie doch zwanzig Jahre die Menschen verändern können. Unfaßbar, daß man mit solchen Typen bis kurz vor Moskau gekommen war …
    Hinter dem Bierzelt holte Boltenstern den vor ihm gehenden Schreibert ein. Ein Stapel Bierfässer umgab sie, und Boltenstern setzte sich auf ein hohes Faß.
    »Endstation, Hermann!« sagte er fast fröhlich. Es war nicht klar, ob es nur ein Ausdruck war oder ein bewußtes Wortspiel. »Hier warten wir auf den Großen Zapfenstreich! Komm, setz dich …«
    Schreibert blieb stehen, kam zurück und nahm neben Boltenstern auf einem anderen, etwas niedrigerem Faß Platz. Es sah aus, als setze sich ein Hofnarr neben seinen Herrn. Hinter ihnen, nur getrennt durch eine dünne Zeltleinwand, begann ein Blasorchester die Instrumente auszupacken. Eine Posaune brauste kurz auf, ihr folgte ein Klarinettentriller. Dann Stimmen, undeutlich, Gläserklirren. Boltenstern legte die Hand auf Schreiberts Schulter. Schreibert zuckte zusammen und zog den Kopf ein, als habe ihm jemand einen Strick um den Hals geworfen.
    »Laß das …«, sagte er grob und schüttelte Boltensterns Hand ab. »Was willst du?«
    »Nichts!« Boltenstern zog die Hand zurück.
    Mit dieser Bewegung erstarb der letzte Funken Gefühl in ihm. Hermann Schreibert war ihm weniger wert als eine Fliege, die man mit einer zusammengefalteten Zeitung an der Wand erschlägt.
    In diesen Minuten nahmen auf der hintersten Reihe der Tribüne noch zwei Personen Platz. Niemand beachtete sie, denn der begnadete Marschierer Henneswald schwenkte gerade an der Spitze des Musikzuges ein.
    Werner Ritter und Jutta Boltenstern waren gekommen, und sie suchten ihre Hände und hielten sich in plötzlicher Angst fest, als sie den Platz Alf Boltensterns in der Reihe der Ehrengäste leer sahen.
    Der dritte und letzte Marschblock war vorbeiparadiert, mit dem in die Herzen und die Beine fahrenden Marsch ›Alte Kameraden‹. Der dritte Musikzug schwenkte zum Abmarsch ein, noch einmal grüßte General a.D. v. Rendshoff mit dem herrlichen Gefühl, eine große Stunde erlebt zu haben. Der 91jährige v. Kloph schlief in seinem Rollstuhl. Es war zuviel für ihn gewesen. Erst kam der Kaiser nicht, dann kam der Gefreite Hitler, und am Ende bemerkte er sogar, daß die Paradierenden in Zivil waren, was ihn völlig aus der Bahn warf. Erschreckt, erschüttert, ratlos, was um ihn herum eigentlich vorging, schloß er die Augen, und so schlief er ein, ohne es zu merken. Man rollte ihn vorsichtig und sanft von der

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