Zum Nachtisch wilde Früchte
Tribüne, als Musikzug III abgerückt war und die letzten Klänge der ›Alten Kameraden‹ in den gelbweißen Staubwolken verhallten. Dafür begann vom Festplatz wieder das Geschrei aus den Lautsprechern, im großen Bierzelt begann die Blaskapelle mit einem bayerischen Ländler, die ersten Durstigen des Marschblockes I und der Fahnenkompanie rückten ins Zelt ein. Sie hatten die Fahnen zusammengerollt und trugen sie vor sich her wie überschwere Bärenspieße. Major Ritter verzichtete darauf, noch einmal von Bude zu Bude zu rennen und zu brüllen, es sei zu früh, der General spreche noch … »Es ist eben überschäumende Lebensfreude, Kamerad …«, sagte er zu einem Hauptmann der 1. Kompanie, der mit langen Schlucken seinen Maßkrug leerte. »Das Wiedersehen, die Erinnerung … die Jungs sind außer Rand und Band.«
Die Tribüne leerte sich. Ein würdiger Zug von Ehrengästen bewegte sich zum Festplatz, an der Spitze die Mumie v. Kloph. Er schlief noch immer und wurde mit aller Vorsicht über den staubigen Platz geschoben. Mit einem lebenden Denkmal muß man zärtlich umgehen!
»Ich werde Vater suchen«, sagte Jutta Boltenstern, als sie mit Werner Ritter ebenfalls die Tribüne verließ. Am Festzelt wurde laut geklatscht … das Transparent der 3. Kompanie wurde hereingetragen.
Werner Ritter nickte. »Ich werde in der Nähe von Huilsmann bleiben«, sagte er. »Wir treffen uns wieder im Zelt.«
Major Ritter rannte zwischen den Buden herum wie eine Glucke, die ihre Küken verloren hat. Er suchte Boltenstern und Schreibert, aus einer dunklen Ahnung heraus, daß ihr Alleinsein eine Katastrophe bedeutete. Aber er fand sie nicht … im Zelt waren sie bestimmt nicht, hinter den Buden sah er nur Gerümpel, sogar die leere Tribüne suchte er von hinten ab und fand nichts als leere Bierflaschen, Schokoladenpapier, Tempotaschentücher, zerknüllte Tüten und Zeitungen, Zigarettenschachteln, angebissene Butterbrote, Teile von Brezeln und sogar einen linken Damenschuh. Das große Bierzelt umging er nicht. Das war ein Fehler, denn hier, noch immer zwischen den Fässern, saßen Boltenstern und Schreibert. Boltenstern las den Brief, den Schreibert in Turin bekommen hatte, den Brief, der schilderte, was auf dem Film Toni Huilsmanns zu sehen war.
»Stimmt es?« fragte Schreibert, als Boltenstern das Papier sinken ließ. »Sag die Wahrheit, Mensch!«
»Nein!« Boltenstern gab den Brief an Schreibert zurück. Seine Stimme war ganz klar, ohne das geringste Flimmern der Erregung. »Wer das geschrieben hat, ist ein gemeiner Hund! Mich wundert, daß du solche anonymen Schmierereien überhaupt ernst nimmst!«
»Ich habe an diesem Abend mein Gesicht verloren!« Schreibert faltete den Brief sorgfältig zusammen und steckte ihn in seine Brieftasche. Boltenstern sah ihm mit einem leichten Lächeln in den Mundwinkeln zu. »Ich habe nie verstanden, warum ich in dieser Nacht weg von Toni bin, in meinen Wagen geklettert bin und nach Hause fuhr. Du weißt, daß ich das nie tue! Ich fahre nie mit besoffenem Kopf! Ich habe immer meinen Wagen stehenlassen und habe ein Taxi gerufen, wenn ich merkte, ich habe genug. Aber in dieser Nacht bin ich gefahren! So, als ob ich gar keinen Willen mehr hätte!« Er sah Boltenstern groß an, und seine Augen waren das einzig Lebende in dieser toten Kraterlandschaft seines Gesichtes. »Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, als ich diesen Brief bekam. Alf …«
Boltenstern wandte sich halb um. Sein schönes, gepflegtes Gesicht zeigte einen Anflug von Hochmut.
»Ja, Hermann?«
»War mein Tod auch eingeplant? Hast du mich mit dem Wagen losgeschickt in der Hoffnung, daß ich mir irgendwo auf der Strecke den Hals breche? War es nur Pech für dich, daß ich auf der Chaussee nicht krepierte, sondern mir das Gesicht wegschabte? War das der große Fehler in deinen Berechnungen?«
»Du redest ausgesprochenen Blödsinn, Hermann«, sagte Boltenstern kühl. »Wenn du den Film Tonis ansiehst, wirst du mir recht geben, daß alle deine Verdächtigungen sinnlos sind. Du hast Richard erwürgt, natürlich ohne es zu wollen, und wir alle bilden eine Mauer um diese Nacht, die niemand einrennen wird, weil es keine Beweise gibt! Die verschiedenen Ermittlungsverfahren, die übereifrige Kriminalbeamte eingeleitet hatten, sind alle von Oberstaatsanwalt Dr. Breuninghaus eingestellt worden. Es geschieht dir nichts, wenn du selbst bloß den Mund hältst!«
»Breuninghaus ist hier?« fragte Schreibert dumpf.
»Ja.«
»Ich will mit
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