Zum Nachtisch wilde Früchte
da«, sagte er, aber so leise, daß es Toni Huilsmann nicht hörte, der bleich und eingefallen, mit flatternden Augen, neben einem Major saß und sich nach 50 Mikrogramm LSD sehnte und den silbernen Wiesen, auf denen nackte Elfen ihn umtanzten. »Er will wegen seines Gesichts nicht ins Zelt kommen, der arme Kerl. Ich bringe ihm ein Bier und komme schnell zurück. Nach der offiziellen Feier treffen wir uns alle irgendwo. Dann sind wir unter uns. Aber du darfst nicht zeigen, wie du dich entsetzt, wenn du Hermann wiedersiehst …«
Petra Erlanger nickte. Dieses Zelt voller schwitzender, grölender, stinkender Männer war ihr zuwider. Sie wußte nicht, was sie hier sollte. Boltenstern stellte sie allen als seine zukünftige Frau vor … das war der einzige Sinn, warum sie mit nach Nürnberg gekommen war. Der Stolz Boltensterns, eine so schöne und vor allem reiche Frau als sein Eigentum präsentieren zu können. Petra Erlanger wußte das, aber sie war nach der Niederlage auf Rhodos nicht mehr mutig genug, sich dagegen zu wehren. Sie war ein Ausstellungsstück für Boltenstern geworden, eine Siegestrophäe … er war wie ein römischer Cäsar, der seine Beute herumreichte und durch die Straßen führen ließ. Außerdem war sie müde geworden. Die merkwürdigen Halluzinationen waren in den letzten Tagen ausgeblieben, aber ihr Körper war irgendwie aufgestört, aus dem normalen Rhythmus geraten, und es erschreckte sie immer wieder von neuem, daß sie sich dabei überraschte, den ausbleibenden Halluzinationen nachzutrauern, ja, sie zu vermissen.
»Ich bin schnell wieder zurück, Liebes«, hörte sie Boltenstern noch einmal sagen. Ihre Antwort ging in der einsetzenden Musik unter. General v. Rendshoff kam zu ihr, mit einem Weinglas in der Hand. Er prostete ihr zu, als dem schönsten Ehrengast. Dabei nahm er die Hacken zusammen und machte eine zackige Verbeugung.
Der Hohenfriedberger Marsch.
Die Maßkrüge donnerten auf die Holztische. Brezelverkäuferinnen schoben sich durch die Bankreihen. Hier und dort tauchte auf den Köpfen völlig unmilitärisch ein grünes Miniatursepplhütchen auf, auf dem linken Ohr, mit einem Gummiband festgehalten. Strohhüte wurden verkauft, Gamsbärte und Kirmestrompeten. In einer Ecke machte sich eine neue Kapelle auf, mit Kinderblechtrommeln und quietschenden Kinderpfeifen. Die Stimmung stieg.
Boltenstern kam aus dem Zelt und stellte sich in den Sichtschutz eines Autos. Durch ihre Autoscheibe, keinen Meter entfernt, sah Jutta zu, wie er das Stanniolpäckchen aus der Tasche zog, das Bier auf die Kühlerhaube des Autos stellte, das Stanniol abzog und den schmalen Streifen Löschpapier in den Maßkrug hing. Mit trockener Kehle zählte Jutta die Sekunden … sie waren unendlich, wie Jahrhunderte, und doch waren es nur zehn Sekunden, bis Boltenstern den Löschpapierstreifen wieder aus dem Bierschaum zog, ihn zerknüllte und unter das Auto in den Staub warf. Dann faßte er den Maßkrug fest mit den Fingern, wie ein gelernter Kellner, und ging so ruhig, als trage er nicht die Hölle in seiner Hand, sondern wirklich nur ein köstliches, kühles, schäumendes Bier um das Zelt herum.
Jutta rannte um die andere Seite des Zeltes zu ihrem früheren Beobachtungsplatz. Worte prallten gegen sie.
Mehrere junge Männer hielten sie fest und zogen sie mit zu den Buden. Sie versuchte verzweifelt, sich zu befreien, aber es gelang nicht. Gegen ihren Willen wurde sie von den torkelnden Gestalten mitgeschleppt. Alles um sie herum verlor an Wirklichkeit und Greifbarkeit. Die Musik war wie in Watte gepackt. Der Lärm der Achterbahn war wie ein Summen. Die Stimmen schwebten noch im Raum. Der Trubel um sie herum zerfloß zu schemenhaften Gebilden … sie fühlte sich hilflos und wehrlos in der Angst, die sie um ihren Vater empfand.
Inzwischen gab Boltenstern hinter dem Zeltvorhang den kühlen Maßkrug an Schreibert weiter.
»Wo ist Toni?« fragte Schreibert, den Maßkrug in beiden Händen.
»Er kommt sofort nach. Ich habe ihm gesagt, wo wir sind. Der General unterhält sich gerade mit ihm.«
»Hast du ihm gesagt, was ich will?«
»Natürlich.«
»Und?«
»Er ist einverstanden. Morgen fahren wir nach Düsseldorf zurück, und er spielt dir den Film vor …«
»Bestimmt?«
»Du kannst ihn ja nachher fragen, Hermann …«
Schreibert sah in den kalten Bierschaum. Die Sicherheit Boltensterns war ihm rätselhaft. War der Brief wirklich eine Lüge? War er, Schreibert, wirklich der Mörder seines besten
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