Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
sollte nicht zuviel saufen, denn am Abend gäbe es ja noch ein Feuerwerk und vor allem einen ›Großen Zapfenstreich‹.
    Händeklatschen. Ein neues Lied.
    Boltenstern beugte sich über Schreibert, faßte ihn unter die Schultern und hob ihn von den Knien hoch. Er stellte ihn gegen einen Stapel Bierkästen und schüttelte ihn. Schreibert grunzte und lächelte schrecklich. Aber er blieb stehen und starrte mit fiebrig glänzenden Augen in den heißen Sommerhimmel.
    Die Handlungen, die Boltenstern jetzt vollzog, waren von einer satanischen Präzision. Er streifte sich Handschuhe über, rollte ein leeres Faß an die Zeltwand, stieg auf dieses Faß und schlang um einen Balken, der dem Steilwandzelt als Stütze diente, ein dickes Tau. Dann knüpfte er eine Schlinge, steckte selbst den Kopf hindurch, um zu probieren, ob sie groß genug war, nickte zufrieden, stieg vom Faß hinunter und zog an dem Seil, hob die Beine vom Boden und ließ sich kurz hin und her schwingen, was ihm bewies, daß er einen guten Knoten gemacht hatte.
    »Komm her, mein Junge!« sagte Boltenstern kalt, als er wieder auf der staubigen Erde stand. Er zog die Handschuhe aus, sie waren nicht mehr nötig.
    Gehorsam löste sich Schreibert von den Bierkästen und schwankte zu Boltenstern. Vor dem leeren Faß blieb er stehen und starrte interessiert auf die Schlinge, die über seinem Kopf pendelte.
    »Steig hinauf!« sagte Boltenstern hart.
    Schreibert versuchte es. Zweimal rutschte er aus, fiel in den Staub, richtete sich auf und kroch dann auf das Faß.
    »Komm, ich helfe dir«, sagte Boltenstern, gab ihm die Hand, stützte ihn, drückte mit beiden Händen gegen Schreiberts Gesäß, als er seinen Körper nicht hoch bekam, und hielt seine schwankenden Beine umklammert – als er endlich stand, ein gesichtsloses Wesen auf einem wackelnden Bierfaß.
    »Leg dir das Halsband um, Hermann!« sagte Boltenstern keuchend. Er hatte Mühe, Schreibert festzuhalten. »Nun mach schon … leg es um …«
    Schreibert griff nach oben in die Schlinge, schob sie über seinen Kopf, um den Hals, und dabei lachte er und schnalzte mit der Zunge.
    Boltenstern ließ die schwankende Gestalt los und trat drei Schritte zurück. Im Festzelt hieben sie wieder mit den Fäusten den Takt auf die Holztische. Kameraden, welch ein lustiger Tag.
    »Schwarzbraun ist die Haselnuß,
    schwarzbraun bin auch ich, ja ich.
    Schwarzbraun muß mein Mädel sein –«
    Boltenstern atmete tief. »Spring!« sagte er. »Hermann, spring!«
    Schreibert erlebte in diesen Minuten eine herrliche Welt. Auf einer goldenen Wolke, die aussah wie ein Schlitten, fuhr er rund um die Sonne, und alle Wolken, denen er begegnete, waren wunderschöne Mädchen, die alle aussahen wie Corinna Colman. Jeder winkte er zu, und jede schwenkte in seine Laufbahn ein, und so zog er um die Sonne, hinter sich ein Heer nackter, betörender Mädchen, und die Winde wurden zur Musik, die Sterne reihten sich zu diamantenen Ketten auf … und da war plötzlich ein Tor aus Rosen mitten im blauen Himmel, und hinter dem Tor schwebte ein Bett aus Kristall, und darauf lag, hingestreckt in Tigerfellen, die richtige Corinna Colman und winkte ihm und rief ihm mit heller, wie Glocken klingender Stimme zu: »Spring, Liebster, spring!« Und sie breitete die Arme aus, und ein goldenes Leuchten brach aus ihrem Schoß.
    Schreibert stöhnte auf. Alle Sehnsucht zwischen Himmel und Erde zersprengte ihn.
    Er sprang … und der Himmel wurde plötzlich rot, ging in Flammen auf, die Wolken, das Rosentor, das kristallene Bett, die nach ihm ziehenden Wolken mit den Mädchen explodierten … im Nacken spürte er einen höllischen Schmerz …
    »Corinna –!« schrie er hell.
    Und dann war Nacht –
    Boltenstern sah ernst auf die in der Schlinge pendelnde Gestalt. Der Körper, mit zuckenden Beinen und Armen, schlug gegen die Zeltwand und traf innen im Zelt einen Mann in den Rücken.
    »Besoffener Hund!« schrie der Mann und stieß die Faust gegen die Zeltwand. »Hau ab!«
    Schreibert pendelte zurück und hing dann still. Der Körper streckte sich, aus dem Mund quoll dick und bräunlich die Zunge.
    In diesem Augenblick erreichte Jutta wieder ihren Beobachtungsposten hinter der Sonnenblende der Losbude und sah ihren Vater vor dem am Seil hängenden Schreibert. ›Nein, nein, nein!‹ schrie es in ihr. ›Das darf nicht wahr sein!‹ Lähmende Angst erfaßte sie.
    Das Gesicht ihres Vaters, seine kalten Augen machten sie bewegungsunfähig. So sieht ein Mörder aus, dachte

Weitere Kostenlose Bücher