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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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des Majors a.D. Ritter, fuhr Werner Ritter noch einmal zur Huilsmann-Villa, erbrach die Siegel an den Türen und betrat das riesige Zimmer.
    Es war noch alles unverändert. Die Kissen lagen herum, die zerbrochenen Gläser, die Kleiderfetzen, das zertretene Gebäck, die halbgefüllten Sektkelche. Wo die Leiche Erlangers gelegen hatte, war der wertvolle Teppich mit Kreide verunziert. Ein Beamter hatte die Umrisse des Toten aufgezeichnet.
    Werner Ritter setzte sich in dieses Chaos und dachte nach.
    Was war an diesem 21. Mai von 20 Uhr bis 5 Uhr früh geschehen?
    Wer hatte Erlanger den weißen Seidenschal um den Hals gelegt? Warum hatte er sich nicht gewehrt? Warum hatte es keiner gesehen? Warum hatte es keinen Kampf gegeben?
    Vier Männer und vier Frauen waren in diesem Raum gewesen. Sie alle mußten diesen Mord gesehen haben, wenn es ein Mord war. Sie alle, mit sechzehn Augen, mußten gesehen haben, wie jemand den Seidenschal um den Hals Erlangers knotete.
    Und doch hatte es keiner gesehen.
    Werner Ritter kroch auf dem Teppich herum, untersuchte noch einmal jeden Zentimeter des Chaos, suchte Spuren von Blut, suchte etwas, was er selbst nicht erklären konnte.
    So kam er an den Kamin.
    Die Asche war graubraun, pulvrig. Buchenholz.
    Aber zwischen der Asche staken einige kleine Fetzen unverbranntes, nur angekohltes, zum Teil sogar erhalten gebliebenes Papier.
    Mit einer Pinzette, ganz vorsichtig, hob Werner Ritter diese Papierreste aus der Asche und legte sie in eine kleine Glasschale. Dann hob er sie gegen das Licht und betrachtete sie genau.
    Wie Löschpapier sah es aus.
    Wie weißes und rosa Löschpapier, das nicht völlig verbrennen konnte, weil es zu naß gewesen war.
    Von dieser Bestimmung an hatte es Werner Ritter eilig. Er verzichtete auf alle weiteren Durchsuchungen, versiegelte die Räume wieder und fuhr verkehrswidrig schnell in die Stadt zurück.
    Zum Polizeilabor.
    Noch ahnte er nicht, welchen Schlüssel er da in einer einfachen Glasschale mit sich trug.
    Er wußte nur eins: Dieses Löschpapier wurde in der Nacht verbrannt, als Erlanger starb.
    Es gehört zu den Aufgaben des Hauspersonals, neugierig zu sein. Man sollte das nicht als eine abwertende Feststellung ansehen, sondern als eine kulturgeschichtliche Tatsache. Das Intime eines Hauses kannten im alten Rom die Masseure, zur Zeit Ludwigs XIV. die Mätressen, im Rokoko der Barbier und in den zwanziger Jahren die Freundin der Frau oder der ledige Chauffeur, vorher Kavallerieoffizier und 1920 Gigolo.
    Heute sind es die Haushaltshilfen, die mit gespitztem Ohr und flinken Mausäuglein dafür sorgen, daß jeder Laut innerhalb des Hauses erst durch ihre Ohren fliegt. Sie haben einen sechsten Sinn für das, was ein Geheimnis sein soll, und sie sind gerade immer da, wo sie in diesem Augenblick nicht zu sein brauchten.
    Auch Else Lechenmaier, das Hausmädchen Toni Huilsmanns, ließ sich durch amtliche Siegel und den Titel eines Kriminalassistenten nicht abhalten, Werner Ritter bei seinem zweiten Besuch an diesem 30. Mai zu beobachten. Es war ein Sonntag, und wenn ein Beamter am Sonntag Siegel erbricht und auf dem Teppich herumkriecht, muß es sich um etwas ganz Besonderes handeln.
    Else hatte ein gutes Versteck. In der großen Halle stand ein Barockschrank, und während Werner Ritter zentimeterweise den Teppich absuchte und zwischen den orientalischen Sitzkissen und umgeworfenen kleinen Tischchen auf den Knien rutschte, huschte Else in die Halle, schlüpfte in den Schrank und beobachtete durch ein Loch in der Schnitzerei, was im Zimmer weiter geschehen sollte.
    Dieser Barockschrank war für Else Lechenmaier schon oft die Loge eines intimen Theaters gewesen. Seitdem sie durch Zufall, beim Säubern des Schrankinneren dieses Loch in der Tür entdeckt hatte, durch das man hindurchsehen konnte wie durch einen Sehschlitz, baute sie sich in dem großen Schrank einen regelrechten Beobachtungsstand. Einen Schemel, eine Taschenlampe, ein Kissen – denn der Schemel wurde zu hart, wenn man länger sitzen mußte –, ja sogar ein paar Flaschen Mineralwasser und eine Flasche erfrischenden Cinzano hatte sie in den Schrank getragen. Hier erlebte sie, wie Toni Huilsmann seine Junggesellenspäße trieb, wie das riesige Zimmer mit seinem künstlichen Sternenhimmel zu einem Sündenpfuhl wurde und die Herren, die am Tage im dunklen Anzug und mit silbergrauen Schlipsen in getäfelten Büros saßen, Industrie-Imperien regierten und Aktienkurse bestimmten, sich hier ihrer Hemden, Hosen

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