Zum Nachtisch wilde Früchte
die dicke Nase, nahm seine Brille ab, hauchte gegen die Gläser und putzte sie mit einem Lederläppchen, das er aus der Brusttasche nahm.
»Anhaltspunkte? Verdachtsmomente?«
»Alles lapidar, Hubert. Stell dir vor … Schreibert, Huilsmann, Boltenstern und Erlanger waren zusammen bei Toni und haben einen draufgemacht. Natürlich mit Weibern. Kö-Bienen. Wer soll da wen umbringen? Vier alte Kameraden, vier Blutsbrüder, möchte man fast sagen! Das ist doch absurd.«
»Allerdings.« Dr. Breuninghaus zuckte mit den Augenbrauen. Er war innerlich äußerst aufgewühlt. Erlanger tot, dachte er. Solch ein feiner Kerl und Kamerad. 1949 hat er mir seinen Mantel gegeben, als wir in einen plötzlichen Wintereinbruch bei Irkutsk gerieten. Ein echter Kamerad! Und erdrosselt sich! Man sollte heulen vor so viel Perfidie des Schicksals! »Und was soll ich dabei tun, Konrad?« fragte er nach dieser Schweigeminute der Erinnerung.
»Nichts, Hubert, was du nicht verantworten kannst.« Ritter sah seinen Freund treuherzig an. »Wenn du den Fall in die Hände nimmst … wenn du dich ein wenig darum kümmerst … die jungen Beamten, diese Generation ohne soldatischen Kameradengeist … forsch sind sie, ja, aber der Weitblick fehlt ihnen.«
»Genau das! Genau!« Dr. Breuninghaus nickte mehrmals. »Ich werde mir die Akte kommen lassen. Und deinen Jungen dazu! Es wird in der Justiz sowieso zuviel im Kreis gearbeitet! Du kannst ganz beruhigt sein, Konrad …«
Und völlig beruhigt verließ Major a.D. Konrad Ritter auch die Staatsanwaltschaft. Er hatte nicht das Gefühl, etwas Unlegales getan zu haben. Im Gegenteil: Ist es verwerflich, dem oft blinden Schicksal den rechten Weg zu weisen?
Man muß das so sehen … ob es einem gefällt oder nicht.
Konrad Ritter gefiel es.
Am Nachmittag besuchte Boltenstern den schwerverletzten Hermann Schreibert. Toni Huilsmann, den er zu diesem Besuch abholen wollte, war nicht ausgehfähig. Er lag im Bett, hing mit dem Oberkörper über einem emaillierten Eimer und erbrach Magensäure und Galle. Das Hausmädchen Else lief verwirrt herum wie ein gerupftes Huhn, kochte Pfefferminztee, toastete Weißbrot und hielt ihrem Herrn ab und zu den kalten, schwitzenden Kopf über den Eimer. Huilsmann bedankte sich mit einem matten Streicheln über ihre Oberschenkel, was Else zu tiefen Seufzern anregte.
»Ein Sauzeug ist dieses LSD!« hustete er, als Boltenstern allein an seinem Bett saß und Else ein Glas Martini holte. Werner Ritter hatte doch darauf verzichtet, die ganze Villa zu plombieren. Huilsmann durfte in den hinteren Räumen wohnen; nur die Halle und das große Wohnzimmer waren behördlich versiegelt. »Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Nur, was ich im Rausch erlebt habe … o Junge, das war was!« Er lehnte sich zurück und schloß keuchend die Augen. »Erlanger tot. Schreibert schwer verletzt! Das ist eine komplette Sauerei.«
»Niemand darf wissen, daß wir LSD genommen haben«, sagte Boltenstern leise, aber eindringlich. »Versprich dich nicht bei den Verhören! Die Polizei, alle glauben daran, daß wir sinnlos besoffen waren. Von LSD keine Rede. Sie kennen es ja auch nicht einmal! Also, Toni … Schnauze halten, und wenn du redest … überleg es dreimal, ehe du den Mund aufmachst.«
»Grüß Hermann von mir.« Huilsmann angelte wieder nach seinem Eimer und würgte. Ich kotze mir die Seele aus dem Leib, dachte er. Nie, nie wieder nehme ich dieses LSD!
Im Flur zum Küchenausgang traf Boltenstern auf Else. Er nahm ihr den Martini ab, trank ihn mit einem tiefen Zug und verließ grußlos das Haus.
In der Klinik hatte er Schwierigkeiten, zu Schreibert vorgelassen zu werden. Keinen Besuch, hatte der Chefarzt angeordnet. Nur die nächsten Verwandten.
Da Schreibert keine nächsten Verwandten mehr hatte, saß Madeleine Saché an seinem Bett und weinte in ein fliederfarbenes Taschentuch. Die roten Haare hingen ihr ins Gesicht, und wenn sie aufschluchzte, machte sie einen Kickser mit der Stimme, was sehr wirkungsvoll war. Das Bild einer trauernden Frau stand ihr gut … ihr Körper zeigte intensive Bewegungen beim Weinen und Schluchzen.
Als es Boltenstern nach Rücksprache mit dem Oberarzt doch gelang, Schreiberts Zimmer zu betreten, eilte ihm Madeleine entgegen. »Wie schrecklich …«, stammelte sie. »Wie gräßlich. Mein Böckchen … wie er daliegt! Was ist denn bloß vorgefallen? Warum müßt ihr bloß so saufen? Und dann noch Auto fahren! Gibt es keine Taxis? Ich habe ja gleich gewußt, daß er
Weitere Kostenlose Bücher