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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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was ich tue … Mein Gesicht …«
    Er fiel nach hinten in die Kissen, warf die Arme hoch, umklammerte hinter sich die Stangen des Eisenbettes, rüttelte an ihnen wie an einem Gitter, und dabei heulte er wie ein angeschossener sibirischer Wolf.
    »Mein Gesicht – er hat mir mein Gesicht genommen …«
    Fast eine Stunde dauerte es, bis Alf Boltenstern in der Klinik eintraf. In seiner Privatwohnung hatte sich niemand gemeldet; sein Büro gab die Auskunft, daß er eine Zusammenkunft mit südamerikanischen Geschäftsfreunden in einem Hotel habe. Welches Hotel, das wußte man auch nicht. Die Schwester in der Telefonzentrale der Klinik rief daraufhin alle Düsseldorfer Hotels an, und als sie überall eine verneinende Auskunft erhielt, hatte sie einen guten Gedanken und telefonierte mit den Lokalen, zu denen man ausländische Besucher gern hinführt, um ihnen Düsseldorfer Fluidum zu vermitteln. So erreichte sie Boltenstern im ›Malkasten‹, dem Künstlerdomizil, und Boltenstern setzte sich sofort in den Wagen, überließ den Besuch aus Argentinien seinem Prokuristen und jagte quer durch die Stadt zum Krankenhaus.
    Schreibert hatte sich etwas beruhigt. Der Chefarzt hatte ihm eine Injektion gegeben, kein schweres Mittel, denn das Herz Schreiberts war schon sehr belastet. Aber das Medikament dämpfte etwas, und so lag Schreibert tief und keuchend atmend in seinem Bett, als Boltenstern eintraf und das Zimmer allein betrat.
    »Er will Sie unter vier Augen sprechen«, sagte der Oberarzt, der Boltenstern erwartete. »Trotz großer Bedenken geben wir dem statt. Aber wenn er sich wieder maßlos aufregt, läuten Sie bitte. Er war vorhin in der Verfassung, daß er sich sein Gesicht – oder das, was er noch davon hat – mit den Fingernägeln zerreißen wollte.«
    Boltenstern nickte stumm und zog leise hinter sich die Tür zu.
    Schreibert saß halb im Bett und sah Boltenstern an. Viel Selbstbezwingung gehörte dazu, diesen Anblick ohne ein Zeichen von Erschrecken oder Grausen zu ertragen. Eine vernarbte, blutverkrustete Fratze hockte da in den Kissen … nur die Augen gehörten noch zu Hermann Schreibert und die wenigen dunkelblonden Haare am Hinterkopf. Die vordere Seite des Schädels hatte man ihm glattrasiert. Hier durchzog eine breite Narbe die Kopfhaut.
    »Na, alter Junge«, sagte Boltenstern krampfhaft fröhlich. Er hatte sogar die Nerven, zu lächeln und mit beiden Händen zu winken. »Ich muß doch mal wieder nach dir sehen …«
    »Hat man dich gerufen?« fragte Schreibert dumpf. Der Anblick seines Sprechens war fürchterlich. In einer verwüsteten Landschaft sprang plötzlich ein Spalt auf, und aus diesem roten Loch sprudelten die Worte.
    »Gerufen? Nein! Ich bin gekommen, um dich zu besuchen. Vor fünf Tagen war ich das letztemal hier …« Boltenstern zog einen Stuhl heran, setzte sich neben Schreibert und sah ihn mit einem Blinzeln an. »Die ganze Sache mit dem jungen Ritter ist bereinigt, Hermann. Dr. Breuninghaus hat ihn ausgewrungen.«
    »Du sprichst so, als wäre gar nichts geschehen«, sagte Schreibert und zog die Schultern hoch. »Sieh mich doch an!«
    »Das tue ich doch die ganze Zeit, Hermann.«
    »Mein Gesicht –«
    »Ein paar Schrunden und Narben … Mensch, Hermann, benimm dich nicht wie eine Diva, die einen Pickel am Po entdeckt. Mit ein paar kleinen kosmetischen Operationen kommt das wieder hin. Hinterher siehst du schöner aus, als du je warst! Sie werden dich verjüngen!«
    »Laß das, Alf …«, stotterte Schreibert. Ein Zucken lief durch seinen Körper. »Ich habe kein Gesicht mehr … Ich habe mein Gesicht verloren … Sieh mich nicht so tröstend an! Ich weiß, wie ich aussehe! Ich habe das ja selbst an anderen gesehen. Weißt du noch … in Perwo-Uralsk. Das Plenny-Lazarett und die Abteilung der Gesichtsverletzungen? Wir haben damals Kartoffeln und Kohl hingebracht und sahen die armen Kerle in ihren Zimmern. Fratzen, Alf … Alpträume von Köpfen … Wesen eines anderen, schrecklichen Sterns … Und wir haben uns damals angesehen und zu uns gesagt: Lieber 10 Jahre Sibirien und Bleibergwerk … aber das Gesicht behalten! Nicht so aussehen wie die armen Kerle da … sie sind ja keine Menschen mehr …« Schreiberts Kopf sank zurück in die ihn stützenden Kissen. »Und jetzt sehe ich auch so aus … jetzt bin ich kein Mensch mehr! Mein Gesicht!« Er zuckte hoch und brüllte wieder: »Du hast es mir genommen! Du!«
    Vor der Tür zuckte die Stationsschwester zusammen, lief in die Teeküche und rief

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