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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gelebt, die man mit goldenen Körnern gefüttert hatte und der man einmal in der Woche die Federchen streichelte. Eine Kalenderliebe. Ein Termin, wie hundert andere Termine Erlangers. Samstag, nach Feierabend: Petra umarmen.
    »Wenn du meinst«, sagte Petra gedehnt.
    »Ja. Ich habe triftige Gründe, Petra.« Boltenstern beugte sich vor. Er legte seine große, feste Hand auf ihre Knie, und sie empfand diese Berührung als angenehm, ja sogar elektrisierend, als sei sie noch ein junges Mädchen. »Aber ich habe einen anderen Vorschlag. Wir reiten aus. Jeden Morgen eine Stunde … das tut dir gut. Das befreit von allen dunklen Gedanken. Du sollst sehen – es wirkt Wunder. Die Depressionen verfliegen bei einem richtigen Galopp!«
    »Eine gute Idee, Alf.« Petra erhob sich. Die Hand Boltensterns glitt an ihrem Bein hinab … aber das war sicherlich nur Zufall, eine Folge des plötzlichen Aufspringens. »Wer reitet noch mit?«
    »Nur meine Tochter Jutta.«
    »Ein liebes Mädel.«
    »Ja.«
    »Sie sieht aus wie deine Frau.«
    »Du kennst sie noch?«
    »Natürlich. Damals war ich 21 Jahre, als sie starb. Und ich war damals beleidigt, als du knapp nach Ablauf des Trauerjahres mich fragtest, ob ich dich heiraten wolle. Weißt du noch?«
    »Ja, Petra. Und kurz danach hast du Richard geheiratet.«
    »Mein Vater wollte es so. Und du kamst mir damals wie ein Windhund vor. Wer seine Frau so schnell vergißt und eine andere heiraten will …«
    »Sprechen wir nicht mehr darüber, Petra. Das war vor elf Jahren.« Boltenstern stand ebenfalls auf. »Man kann aus Fehlern lernen. Man sollte es sogar!«
    Vierzehn Tage später, Ende Juni, geschah in der Klinik etwas Fürchterliches.
    Man hatte Hermann Schreibert den Kopfverband abgenommen. Die Wunden waren soweit abgeheilt, daß ein Verband nicht mehr nötig war. Nur über die ganz üblen Verletzungen klebte man Heftpflaster.
    Die Schwestern, die Assistenzärzte, ja sogar der Oberarzt und der Chef nahmen ihre Nerven und vor allem ihre Mienen in die Gewalt, als die letzten Zellstoffhüllen vom Gesicht Schreiberts losgelöst wurden. Schreibert lag in Narkose, denn die Prozedur der Verbandablösung war ungemein schmerzhaft.
    Was ihnen da entgegensah, im harten Licht der OP-Scheinwerfer, war eine blutrote, runzelige, schartige Fratze. Die Nasenspitze fehlte, die Wangen waren abgeschabt bis auf die Knochen, das Kinn war eingedrückt. Hier lag nicht mehr Hermann Schreibert – hier lag die Wahrheit gewordene Ausgeburt einer höllischen Fantasie. Ein lebendes Modell Hieronymus Boschs.
    »Mein Gott –«, sagte eine junge Ärztin leise. »Das ist ja furchtbar. Wenn er erst die volle Wahrheit erkennt …«
    »Wir müssen sie so lange hinausschieben, bis wir mit den Hauttransplantationen beginnen können. Ganz vorsichtig werde ich ihn auf seinen Zustand vorbereiten.«
    Man versorgte die noch blutenden Wunden, verklebte sie mit Heftpflaster und fuhr Schreibert in einen anderen Raum, an dessen Tür zur Abschreckung: ›Achtung, Lebensgefahr. Bakteriologisches Labor!‹ stand.
    Es war ein Zimmer, aus dem man alle blanken Teile entfernt hatte. Jeden Spiegel, jede Möglichkeit der Spiegelung … auch die Fenster waren aus dumpfem Milchglas.
    Hier erwachte Hermann Schreibert, freute sich, daß er endlich seinen heruntergerutschten Turban los hatte – wie er den Kopfverband genannt hatte –, und tastete sein Gesicht ab. Er fühlte die Leukoplaststreifen, spürte die schartigen Wunden, aber er war sich nicht bewußt, daß er über ein Gesicht fühlte, daß kein Gesicht mehr war.
    Bis zu jenem Morgen, an dem ein greller Schrei aus dem Zimmer bis in den Flur drang und den Visite machenden Oberarzt herumriß.
    »Alf!« schrie Schreiberts grelle Stimme aus dem verschlossenen Zimmer. »Alf! Hilfe! Hilfe! Mein Gesicht! Mein Gesicht! Er hat mir mein Gesicht genommen!«
    Als der Oberarzt, die Stationsschwester und der Assistenzarzt in das Zimmer stürzten, saß Schreibert im Bett und hielt in der Hand einen einfachen Eßlöffel. Er hatte sich schon zum Morgenkaffee Pudding gewünscht, und die Morgenschwester hatte ihn gebracht, ahnungslos, mit einem blanken Löffel. Und in diesen Löffel starrte nun Schreibert, drehte ihn vor seinem zerstörten Gesicht und heulte und schrie und war doch gelähmt vor Grauen.
    »Alf!« brüllte er, als der Oberarzt ihm den Löffel aus der Hand riß. »Boltenstern soll kommen! Sofort! Sofort! Er hat mein Gesicht! Er hat mein Gesicht! Holt Boltenstern … oder ich … ich weiß nicht,

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