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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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sie nebenher sogar noch irgendwie die Zeit fand, das Rezept für ihre eingemachten Karotten mit Mandeln zu vervollkommnen. Diese Konserve, der man heilende Eigenschaften nachsagte und die vor allem das Immunsystem stärken sollte, bestand im Wesentlichen aus Karottenstücken und großen, ungeschälten weißen Mandeln in einer goldenen Flüssigkeit, die nach duftenden Frühlingsblumen schmeckte. Meine Mutter schickte davon viele Gläser ins Gefängnis, wo mein Vater drei Monate lang in Einzelhaft saß. Natürlich war ein Würfel Zucker einmal pro Woche die einzige Zuteilung, die er erhielt. Hätte er gewusst, dass die Gefängniswärter sich an den eingemachten Karotten gütlich taten, die eigentlich für ihn bestimmt waren, er hätte sich aus seiner Betonzelle gegraben und sie an sich gerissen.
    Meine Geschwister und ich rannten jeden Abend an den Esstisch, um Episoden aus der aufregenden politischen Zeit unserer Eltern zusammen mit den köstlichen Mahlzeiten zu genießen. Wir waren jetzt alle Bewohner des neuen Landes Pakistan. Dass wir die Heimat verloren hatten, in der unsere Vorfahren so lange gelebt hatten, rechtfertigte jedoch nicht, ein schlechtes Zeugnis nach Hause zu bringen oder gar schlechte Tischmanieren an den Tag zu legen. Beim Abendessen erzählte mein Vater oft jene Geschichte, wie meine Mutter noch spät in der Nacht die Flaggen der neuen Nation Pakistan bestickt hatte, die auf den Märkten des von Indien okkupierten Kaschmir heimlich verteilt wurden. Es kam mir so vor, als würden die Speisen auf den Servierplatten durch diese Geschichten mit einer Reihe noch beeindruckenderer Zutaten gewürzt. Stolz, heldenhafte Taten, bitterer Verlust und strahlender Sieg vermischten sich mit den köstlichen Gerüchen, die von den Gerichten aufstiegen.
    Ich bewunderte meine Mutter. Sie war für mich ein Quell der Liebe, des Humors, der Leidenschaft und der Kunstfertigkeit. Sie war eine großartige Köchin, die das Niveau in ihrer Küche derart in die Höhe schraubte, dass ich jahrelang zögerte, bevor ich selbst begann, in der Küche zu experimentieren. Obwohl sie mir niemals das Kochen beigebracht hatte, entwickelte auch ich ein Gespür für Aromen und Techniken, weil ich ihr aufmerksam zuhörte. Ich kannte keinen Menschen, der selbstbewusster gewesen wäre als sie. Soweit es sie betraf, gab es keine Kompromisse, wenn man gut kochen wollte. Es gab keine kulinarische Krise, für die sie keine Lösung fand.
    Irgendwann beschloss sie dann, Heinz Tomatenketchup zu kopieren. Also wurden im großen Gemüsegarten viele Reihen Tomatenpflanzen gesetzt. Ganze Lastwagenladungen frischer Dung wurden angeliefert. Mein Vater machte daraufhin jeden Morgen seinen Spaziergang im Gemüsegarten, um zu sehen, wie die Pflanzen gediehen. Als die Tomaten endlich reif waren und geerntet werden konnten, begann die mittlerweile legendäre Operation Ketchup. Zwei Tage lang wurden das Esszimmer, die Küche und die Speisekammer zu einer Lebensmittelfabrik umfunktioniert. Unzählige Flaschen wurden sterilisiert, dann mit einer roten Flüssigkeit gefüllt, verschlossen und mit einem Etikett versehen. Was daraufhin auf den Tisch kam, hatte nur sehr wenig Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Ketchup, das meine Geschwister und ich so sehr liebten, aber es brachte niemand von uns den Mut auf, das meiner Mutter auch zu sagen.
    Viele Jahre später gestand sie mir, dass das ganze Projekt ein einziges Fiasko gewesen sei, fügte dann aber sofort hinzu, dass sie natürlich ganz genau wisse, wo der Fehler gelegen habe. Ich bewahrte ihr Geheimnis und lachte still in mich hinein, während ich daran dachte, wie tapfer mein Vater, meine Geschwister und ich uns verhalten hatten.
    In meinen Erinnerungen an meine Mutter schwingen auch zärtliche, mütterliche Berührungen mit. Obwohl man mir als Kleinkind einfach alles vorsetzen konnte, war ich bis zum Alter von neun Jahren wählerischer geworden. Insbesondere verabscheute ich Innereien jeglicher Art. Wenn es Bries oder Nieren gab, Gerichte, die mein Vater ganz besonders gern mochte, lagen auf meinem Teller stets zwei kleine Lammkoteletts.
    Meine Mutter kannte die Vorlieben und Abneigungen ihrer Kinder ganz genau. Wenn wir krank waren, setzte sie sich zu uns ans Bett und fütterte uns mit ihren Händen. Die Mutterliebe, die aus ihren Fingerspitzen floss, ließ dabei jeden Bissen Reis, der in

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