Zum Tee in Kaschmir
englische Literatur und schloss ihr Studium mit Auszeichnung ab.
Meine Mutter, die eine überaus schöne und temperamentvolle junge Frau war, fiel meinem Vater auf dem Bahnhof in Srinagar ins Auge, als sie mit dem Zug aus Lahore kam, um die Semesterferien zu Hause zu verbringen. Mein Vater Anwar hatte ihren ältesten Stiefbruder Bashir begleitet, der sie mit einer kleinen, tonga genannten Pferdekutsche vom Bahnhof abholte. Schon am nächsten Tag suchte mein bis über beide Ohren verliebter Vater unter dem Vorwand, ihren Bruder besuchen zu wollen, das Haus ihrer Familie auf. In Wahrheit hoffte er natürlich, die junge Frau wiederzusehen, die ihn am Tag zuvor so fasziniert hatte. Sie war jedoch nirgendwo zu sehen. Im Wohnzimmer aber lag eine Ausgabe von Shakespeares Hamlet , auf der ihr Name stand und die er prompt an sich nahm. Für den sich vor Liebe verzehrenden Mann war selbst ein Buch, das ihre Hände berührt hatten, eine Kostbarkeit. Meine Mutter nahm ihre Geschwister wegen des verschwundenen Buchs vergeblich ins Kreuzverhör, erst nach ihrer Hochzeit erfuhr sie, dass mein Vater der Dieb war.
Die Hochzeit meiner Eltern fand in Bashirabad statt. Während sich das Leben meiner Mutter grundlegend wandelte und sie von einer Studentin zur jungen Ehefrau und Mutter wurde, erweiterte sie kontinuierlich ihr Kochrepertoire, nahm dabei auch neue Entwicklungen und Anregungen aus fremden Küchen auf. Nachdem sie ein Jahr in den Vereinigten Staaten verbracht und dort einen weiteren akademischen Abschluss erlangt hatte, unternahm sie in den letzten Tagen ihres Aufenthalts eine groà angelegte Einkaufstour und lieà dann die erstandenen Herde, elektrischen Mixer und andere moderne Küchengeräte nach Pakistan verschiffen, um ihre Küche auf den neuesten Stand zu bringen.
Die Küche in unserem Haus in Karatschi befand sich ein Stück vom Esszimmer entfernt. Anders als meine GroÃmutter ermunterte mich meine Mutter niemals, in die Küche zu kommen. Es kam mir manchmal so vor, als wäre meine Mutter eine brillante Wissenschaftlerin, die in ihrem Labor irgendwelche wichtigen Experimente durchführte, während mein Status als Kind es mir verbot, an den geheimnisvollen Vorgängen hinter diesen Türen teilzuhaben, geschweige denn, sie zu verstehen.
Dieser Schauplatz wurde von Kohleherden beherrscht, die unaufhörlich zischten und Funken spien. Die Kabel der elektrischen Herde mit ihren runden Herdplatten verursachten regelmäÃig Kurzschlüsse. Auf den Küchenregalen standen schwarze Mörser und StöÃel in Reih und Glied, die eher Kriegsgeräten als Küchenutensilien ähnelten. Schwere gusseiserne Platten, die tawas , wurden auf dem Herd erhitzt, um Chapatis zu backen, köstliche Brote aus Weizenvollkornmehl, die zu luftigen Fladen aufgingen. Die Platten hielten die Hitze noch lange, nachdem man sie vom Herd genommen hatte. Sie konnten, wenn sie heià waren, nur mit dicken Topflappen angefasst werden. Aus einem groÃen Messinghahn über einem trogähnlichen Spülbecken floss ständig Wasser. Neben der Spüle stand eine Flasche mit Kaliumpermanganatlösung, eine grell fuchsiarote Flüssigkeit, die wir »Pinky« nannten und die dazu verwendet wurde, Gemüse zu waschen. Ein zischender Dampfkochtopf mit einem mit einem Stöpsel versehenen Ventil tanzte auf dem Herd und drohte jeden Augenblick zu explodieren und seinen kochend heiÃen Inhalt an der Decke zu verteilen. GroÃe Töpfe mit kochendem Wasser zum Geschirrspülen füllten den Raum mit Dampf.
Inmitten all dieses Chaos wirbelten zwei Köche wie Akrobaten im Zirkus herum, um die Mahlzeiten zuzubereiten, die meine Mutter akribisch genau für jeden einzelnen Tag der Woche festgelegt hatte. Wenn sie in die Küche kam, um etwas abzuschmecken und Anweisungen zu geben oder um selbst etwas vorzubereiten, legte sich stets eine ehrfurchtsvolle Stille über den Raum.
Eine Fliegengittertür führte aus der Küche hinaus in den Garten, und eine weitere Tür öffnete sich zum Vorratsraum. Hier wurden Vorräte wie Mehl, Zucker, Dosen mit Pflanzenöl, Fässer mit Ghee, das ist geklärte Butter, Flaschen mit Essig, selbst gemachte Konserven und groÃe Säcke mit Reis gelagert. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass der Vorratsraum in den meisten pakistanischen Häusern grundsätzlich abgesperrt wurde, damit das Personal nichts stahl. Im Haus
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