Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
Vom Netzwerk:
brachte den Wagen zum Stehen. Am Rande eines Meeres von Senffeldern warteten bereits zwei mit einem Verdeck versehene Pferdekutschen auf uns. Die Tongas hatten vorn neben dem Kutscher einen normalen Sitz und dahinter einen, der schräg abfiel. Das bedeutete, dass die Person auf dem Vordersitz einigermaßen bequem saß, während sich die Passagiere hinten am Seitengeländer festhalten mussten. Meine Eltern teilten uns Kinder auf, und dann fuhren wir in getrennten Tongas los. Auf der Fahrt erzählte uns mein Vater, dass es bald frische Rotis, die aus dem Mais gemacht seien, der auf den Feldern unserer Verwandten wuchs, zu essen gäbe.
    Nach einer holperigen Fahrt von etwa dreißig Minuten tauchte vor uns plötzlich eine niedrige Gruppe weiß gekalkter Häuser auf. Davor standen zwei hoch gewachsene Männer in weißer Kleidung und warteten auf uns. Als wir aus den Tongas kletterten, begrüßten die beiden Männer meinen Vater überaus herzlich. Es waren große, blonde Männer mit rosigem Teint und hellbraunen Augen. Die beiden waren unsere kaschmirischen Cousins zweiten Grades väterlicherseits. Sie umarmten auch uns und führten uns dann ins Haus.
    Dort begrüßten ihre Ehefrauen, die beide Kopftücher trugen, meine Mutter mit großer Ehrerbietung. Auch um meinen Bruder wurde großes Aufhebens gemacht, da er ja der Träger des Familiennamens war. Jahre später sollte auch ich den Namen meines Vaters tragen, aber ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich dafür damals auch dieselbe Aufmerksamkeit erhalten hätte. Ich fragte mich damals, ob mein Vater in seinem Tweedjacket, der Wollhose und mit seiner Krawatte wirklich zu dieser Familie gehörte. Aber es war durchaus faszinierend zu sehen, wie ungezwungen sich meine Eltern in diesen Häusern aus weiß gekalktem Lehm und ohne fließendes Wasser bewegten.
    Die Mahlzeit, die wir an diesem Abend aßen, kam von den Feldern, die um die Häuser herumlagen. Frische Buttermilch aus Tontöpfen wurde in reich verzierten Metallbechern serviert. Senfgemüse, das die ganze Nacht über gekocht worden war, bis es eine sämige Konsistenz angenommen hatte, wurde mit einem Stück hausgemachter Butter angerichtet. Dazu wurden die Rotis aus Maismehl gereicht, die uns mein Vater versprochen hatte. Dünne grüne Chilischoten waren das einzige Gewürz, das verwendet wurde. Da ich durch Amelias Küche bereits abgehärtet war, aß ich eine ganze Schote, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Es war ein einfaches Essen, und dennoch war es einzigartig. Ein fein gemahlenes Getreidemehl, das zu dem Senfgemüse gegeben wurde, milderte dessen Schärfe erheblich. Die selbst gemachte Butter war so köstlich, dass ich auch später in meiner eigenen Küche immer nur süße Butter verwenden sollte. Nachdem wir die Mahlzeit beendet hatten, wurden eine große Waschschüssel und ein Krug mit Wasser hereingetragen. Wir wuschen uns die Hände mit einer groben, körnigen Seife und spülten sie dann mit Wasser ab, in dem Rosenblätter schwammen.
    Als uns unsere Gastgeber in die Zimmer führten, in denen wir schlafen sollten, erstarrte ich vor Schreck. Einfache Holzbetten mit Decken aus grob gewebtem Hanf standen auf dem kahlen Boden. Durch winzige Fenster fiel der Blick auf die umgebenden Wiesen. Ich beschwerte mich jedoch nicht, denn ich wusste, dass von uns als Übernachtungsgästen dieselbe Höflichkeit erwartet wurde, die unsere Gastgeber zeigten.
    Später an diesem Abend sahen wir zu einem klaren schwarzen Nachthimmel hinauf, der mit Sternen geradezu übersät war. In der Luft lag der würzige Geruch von Kräutern, der von den Wiesen rings um das Haus kam. Sowohl das ländliche Essen als auch das rustikale Ambiente ließen mich die Vorliebe meines Vaters für das Leben auf dem Land nun besser verstehen. Zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein unsere Gastgeber uns die einfachste Mahlzeit servierten, war ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man mit Würde Gäste bewirtet. Bevor wir am nächsten Tag wieder nach Hause fuhren, spendete mein Vater eine größere Summe für den Bau einer Gemeinschaftshalle in der näheren Umgebung, damit der Landbevölkerung geeignete Räumlichkeiten für Hochzeiten oder Trauerfeiern zur Verfügung standen.

    Als sich die Sommerferien dem Ende zuneigten und wir schließlich nach Karatschi zurückfuhren,

Weitere Kostenlose Bücher