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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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stellte meine Mutter die alte Ordnung schnell wieder her. Unsere Mahlzeiten wurden wieder von den Jahreszeiten bestimmt. Diese stets vorhersehbare Ordnung wurde jedoch immer wieder einmal unterbrochen, nämlich dann, wenn ihre Freunde sie baten, irgendein spezielles Gericht für sie zu kochen.
    Eines Morgens fuhr die Staatskarosse eines Ministers unsere Auffahrt herauf. Aus dem Wagen stiegen jedoch keine illustren Gäste, vielmehr wurden ganze Körbe mit frischem Spinat und Lammkeulen ausgeladen. Der Minister war ein guter Freund meiner Eltern und wollte an diesem Abend seine erste offizielle Gesellschaft geben. Meine Mutter mochte ihn sehr gern und hatte ihm deshalb angeboten, für sein Diner kaschmirisches Lamm mit Spinat zuzubereiten.
    Dann tat meine Mutter das Undenkbare: Noch in ihrem Morgenmantel machte sie sich an die Arbeit. Ein paar Stunden später drang ein gequälter Schrei aus der Küche. Es war meine Mutter, die so geschrien hatte; das wiederum konnte nur bedeuten, dass irgendeine entsetzliche Tragödie geschehen war. Offensichtlich war der Spinat, den man püriert zum Fleisch reichte, nicht die erforderlichen sieben Mal gewaschen worden, jetzt befand sich Sand in dem fertig zubereiteten Gericht. Niemand von uns wagte sich auch nur in die Nähe des Ortes der Tragödie.
    Eine Stunde später kam meine Mutter jedoch heiter lächelnd aus der Küche, und eine weitere halbe Stunde später fuhr der Dienstwagen mit dem Gericht davon. Am nächsten Morgen kam der Minister mit einem riesigen Blumenstrauß zu meinen Eltern ins Haus und pries wortreich die Kochkünste meiner Mutter. Meine Mutter gab das Geheimnis, wie sie das Gericht noch gerettet hatte, niemals preis. Ich aber lernte aus diesem Ereignis, dass Kochen eine Sache des Willens ist und dass man vor allem stets seinem Ruf gerecht werden muss.

    In der Küche war meine Mutter der unsichtbare Dirigent einer wunderbaren Symphonie, wobei die Zutaten, die Kochutensilien und die Art der Zubereitung die Instrumente waren. Ich hingegen gehörte einfach nur zum Publikum, welches das Privileg genoss, dieser Musik lauschen zu dürfen. Um mir selbst einige kulinarische Fähigkeiten anzueignen, musste ich deshalb zum Teil Detektivin und zum anderen Teil Abenteurerin werden. Die einzige Ausnahme stellte das Biryani dar, ein Reisgericht der Moguln. Es war mir als Kind nie gelungen, meine Mutter bei der Zubereitung dieses Gerichts zu beobachten.
    Ich wurde an einem Freitag, der in unserem Haus in Karatschi ansonsten völlig unspektakulär begann, zum ersten Mal mit diesem Gericht bekannt gemacht. An Freitagen, dem Feiertag der Moslems, schlossen Schulen, Geschäfte und Büros bereits mittags. Unser Hauspersonal bekam für den Rest des Tages frei. Die Regierung hatte diesen Tag darüber hinaus zu einem fleischlosen Tag erklärt, dies hauptsächlich deshalb, um den Verzehr von Fisch zu fördern. Dem Mittagessen folgte bei uns an diesem Tag stets ein ausgedehnter Mittagsschlaf. An diesem speziellen Freitagnachmittag jedoch zog sich meine Mutter nicht in ihr Schlafzimmer zurück. Stattdessen stand sie in der Küche und bereitete dort ein besonderes Gericht zu, bei dem sie nicht gestört werden wollte. An den Geräuschen, die aus der Küche drangen, erkannte ich, dass auch unser Koch anwesend war.
    Mein Vater und ich schlenderten neugierig in Richtung Küche, und er steckte sogar kurz seinen Kopf durch die Tür. Da ich hinter ihm stand, konnte ich jedoch nur sehen, dass unzählige Kochtöpfe und Schüsseln auf dem Tisch standen, während meine Mutter Safranfäden zerrieb und sie in eine Schüssel gab. Sie blickte nicht einmal von ihrer Arbeit auf. An diesem fleischlosen Tag hatte man Päckchen gefrorenes Fleisch aus der Kühltruhe genommen und ließ sie nun langsam auftauen. Ich zog mich zurück, so wie man es von mir erwartete. Eben dieses Zurückziehen sollte ich noch viele Jahre lang bereuen.
    Es heißt, der große mongolische Eroberer Timur-I-Lang, der auch unter dem Namen Tamerlan bekannt ist, habe das legendäre Biryani der Moguln im späten vierzehnten Jahrhundert in Indien bekannt gemacht. Das Gericht ist eigentlich persischen Ursprungs, wobei das Wort birian aus dem Farsi kommt und »Freund« bedeutet. Als der Mogulherrscher Aurangseb 1687 das Königreich Golkonda eroberte, war dieses Gericht zum wichtigsten des größten fürstlichen Staates von

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