Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
Vom Netzwerk:
alledem ordnete sie ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse sofort der jahrhundertealten königlichen Etikette unter und bot mir überaus höflich Tee an. Das reich verzierte Teeservice bestand aus Silber. Zum Tee gab es englische Ingwerkekse. Obwohl ich die junge Königin wohl sehr enttäuscht hatte, weil ich mit leeren Händen gekommen war, bewirtete sie mich mit großem Charme und ausgesuchter Höflichkeit.
    Als man mich dann zum Mittagessen bat, begleitete mich die junge Rani von Khapalu nicht. Man führte mich in einen langgestreckten Raum, wo Amir, der Radscha und drei weitere Männer bereits auf einem prächtigen Teppich saßen. Vor ihnen war ein dastarkahn , ein Tischtuch, ausgebreitet, das mit englischem Porzellan, Silberbesteck und Wassergläsern gedeckt war. Nachdem mir bedeutet worden war, zwischen dem Radscha und Amir Platz zu nehmen, wurden mehrere Platten mit Essen hereingetragen. Als Hauptgericht gab es ein Reis-Pualo mit Fleisch. Im Gegensatz zum Biryani werden beim Pualo die Zutaten, die im Wesentlichen aus Fleisch, Reis und gehackten braunen Zwiebeln bestehen, zusammen in der Brühe gekocht.
    Als der Radscha einen Löffel nahm und mir auf den Teller legte, stieg mir plötzlich der starke Geruch von Fett in die Nase. Eine Welle von Übelkeit überfiel mich, und ich drehte mich Hilfe suchend zu Amir um. Er sah mit einem Kopfnicken auf meinen Teller und lächelte dann. Auf meinem Teller türmte sich jetzt ein riesiger Berg Reis, durchsetzt mit dicken Brocken Lämmerfett, welches als absolute Delikatesse galt. Ich sah voller Entsetzen zu, wie mein Onkel, der wählerische Gourmet, sich eine Gabel voll in den Mund schob und dann anerkennend nickte. Ich hatte meine Gabel noch nicht einmal in die Hand genommen. Mein Onkel beugte sich rasch zu mir herüber und flüsterte mir leise ins Ohr: »Iss! Man will dich damit ehren.« Also hielt ich die Luft an, schob mir einen Bissen in den Mund und würgte ihn zusammen mit einem großen Schluck Wasser hinunter.
    Anlässlich dieses Ereignisses lernte ich, dass man als Gast selbst das unappetitlichste Essen niemals ablehnen darf. Nur um mir diese Regel beizubringen, hatte mich mein Onkel, der fraglos eleganteste Mann in meiner Familie, in dieses märchenhafte Königreich hoch oben in den Bergen mitgenommen. Dieses Ereignis bewirkte bei mir jedoch auch, dass ich seitdem geradezu zwanghaft jedes bisschen Fett entferne, bevor ich ein Stück Lammfleisch zubereite.

    Mein letztes Abenteuer mit meinem Onkel erlebte ich in einer Region von Pakistan, die auch Little Tibet genannt wird. Dieser, wie sich später herausstelle, wirklich gefährliche Ausflug ließ ein geheimnisvolles Band zwischen mir und einem meiner jüngeren Cousins entstehen und überzeugte mich außerdem davon, dass man bei jedem Picknick noch zusätzlich eine Notration einpacken sollte.
    An einem Nachmittag unternahmen Amir, sein ältester Sohn Shujat und ich einen Ausflug zum See Satpara, dessen smaragdgrünes Wasser von hohen Bergen umgeben ist. Ungefähr in der Mitte des Sees befindet sich eine kleine Insel, auf der wir unser Picknick machen wollten. Ein Bootsführer brachte uns mit unserem Picknickkorb in einem kleinen hölzernen Boot zu dieser Insel hinüber. Nachdem er uns dort abgesetzt und versprochen hatte, uns in zwei Stunden wieder abzuholen, ruderte er zum Ufer zurück.
    In unserem Picknickkorb befand sich eine Thermosflasche mit Tee und ein Becher Halwa mit Mandeln und Gries. Amir war an diesem Morgen schon sehr früh aufgestanden und hatte dieses köstliche, körnige Dessert, das mit Sahne verfeinert und mit Nüssen und Blütenessenzen aromatisiert wird, höchstpersönlich zubereitet. Wir ließen uns auf dem grünen Teppich nieder, der die kleine Insel an einigen Stellen überzog. Bei Halwa und starkem Tee machte ich dann Bekanntschaft mit Amirs Vorliebe für eine höchst ungewöhnliche Art von Picknickverpflegung. Während ich zu den dunklen Bergen hinaufstarrte, die wie Wachtposten rings um uns herumstanden, erzählte er uns, dass es auf dieser Insel Feen gebe, so erzählten sich jedenfalls die Menschen hier. Ich fragte mich unwillkürlich, ob die Einwohner von Skardu die Feen gesehen hatten, nachdem sie Maulbeerwein getrunken hatten.
    Urplötzlich fegte ein heftiger Sturmwind von den Bergen herunter, zerrte an unserer Kleidung und wehte den Picknickkorb

Weitere Kostenlose Bücher