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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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dichter Nebel aufzog und ich meinen Besuch bei Amir und seiner Familie um weitere fünf Tage verlängern musste.
    Bei meiner Ankunft auf dem winzigen Behelfsflugplatz empfing mich Amir in einem bestickten Wollmantel. Auf dem Kopf trug er die hier typische Skardu-Kappe. Als er in seinem Jeep mit mir nach Hause fuhr, zogen abgeerntete Obstgärten an uns vorbei, denn es war inzwischen Spätherbst geworden, und in diesem hochgelegenen Tal waren die Aprikosen und Pfirsiche bereits gepflückt. Das kleine Haus, in das Amir mit seiner Familie eingezogen war, bestand aus grauem Stein, Lehm und Mörtel. Die Fenster blickten auf die dunklen Flanken der Berge hinaus. In einem ans Haus angebauten Stall stand ein weißer Hengst.
    Im Haus wurde ich von meinen kleinen Cousins und Cousinen begrüßt, die alle rosige Wangen hatten und wie ihr Vater in die ortsüblichen Wollsachen gekleidet waren. Amirs Frau sagte mit leiser Stimme: »Wir lieben dich alle sehr«, und zog sich dann in eine primitive Küche zurück, um auf dem mit Holz befeuerten Herd das Abendessen zuzubereiten. Ich folgte ihr, weil ich ihr dabei zusehen wollte, und stellte fest, dass es Lamm mit Trockengemüse geben würde. Da das Tal im Winter in aller Regel vier Monate im Jahr von der Außenwelt abgeschnitten war, wurde hier großer Wert darauf gelegt, die Ernte des Sommers zu trocknen und dann einzulagern. So sah ich in der Küche meiner Tante zum ersten Mal in meinem Leben in der Sonne gedörrte Tomaten, die im Gegensatz zur italienischen Variante in der Kochflüssigkeit aufquollen und schließlich wieder so prall wie frische Tomaten wurden. Beim Essen saßen wir auf dicken Teppichen um ein erhöhtes Holzbrett herum, das mit einem schweren Tischtuch bedeckt war. Selbst meine vierjährige Cousine aß die stark gewürzten Speisen.
    Nach dem Essen leistete ich Amir in dem winzigen Raum Gesellschaft, der als Wohnzimmer diente. Der Boden war hier mit den für diese Gegend typischen namdas ausgelegt, das sind gestickte Wollteppiche mit floralen Mustern in Pastelltönen. An den Wänden des Raumes waren zylindrische Kissen aufgereiht. Ich setzte mich zu Amir auf den Boden und sah zu, wie er in einem silbernen Miniatursamowar Kakao für mich kochte, während draußen der Bergwind heulte. Vielleicht glaubte mein Onkel ja, ich würde mich nach den Getränken des Westens sehnen, da ich gerade erst von meinem einjährigen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt war.
    Während ich an dem brühheißen Kakao nippte, der in dem ständig kochenden Samowar zu einer Art flüssiger Schokolade eingekocht war, erfuhr ich von Amir, dass das Schälchen, aus dem ich trank, ein Sammlerstück war. Es stammte aus der russischen Gardner-Fabrik, die im hiesigen Dialekt Gurthener ausgesprochen wurde und damals zu den drei bedeutendsten Porzellanmanufakturen weltweit gehörte. Der Engländer F. Gardner hatte im Jahre 1746 von Peter dem Großen die Konzession zur Herstellung von Porzellan erhalten. Sogar Katharina die Große hat Gardner-Porzellan gesammelt. Im Jahre 1891 begann man dann in der Fabrik auch Massenware herzustellen. Der Samowar war ein seltenes Sammlerstück, aber es war der Geschmack des Kakaos, der mich am meisten beeindruckte. Selbst heute noch ist er mir gegenwärtig. Ich schreibe meine große Vorliebe für Schokolade und die Tatsache, dass ich auch heute noch beunruhigend große Mengen davon essen kann, Amirs köstlichem Kakao zu.
    Am folgenden Abend machte mich Amir im Wohnzimmer der Familie mit einer weiteren Köstlichkeit bekannt, ein Umstand, den ich vor meinen Eltern allerdings viele Jahre lang geheim halten sollte. Als wir in dem kleinen, vom Kaminfeuer erhellten Raum saßen, holte Amir, der in einen Wollumhang mit besticktem Kragen gehüllt war, ein beliebtes Saiteninstrument hervor und begann darauf zu spielen. Vor ihm auf dem Boden standen eine kleine Flasche aus Stein und zwei plumpe Glasbecher. Er unterbrach sein Spiel und goss eine rote Flüssigkeit in einen der Becher, den er mir mit der Anweisung gab, ich solle langsam und in kleinen Schlucken trinken. Dann spielte er weiter.
    Beim ersten Schluck glaubte ich, es handle sich um einen Fruchtsaft, der ein wenig umgeschlagen war. Amir beobachtete mich mit einem Lächeln in den Augen, während ich den nächsten kleinen Schluck trank. Als ich den Becher geleert hatte, sagte er mir, dass ich gerade den hier

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