Zum Tee in Kaschmir
davon. Der Wind wühlte den See auf, lieà das grüne Wasser schwarz werden und türmte hohe Wellen auf. Amir rief dem Fährmann am Ufer zu, er solle uns sofort abholen. Dieser hatte jedoch offensichtlich groÃe Angst davor, auf das unruhige Wasser hinauszufahren, deutete immer wieder nach oben und rührte sich nicht von der Stelle. Amir schrie hinüber, bis er heiser war, ohne jeden Erfolg. Mir war inzwischen richtig mulmig zumute, und auch mein kleiner Cousin klammerte sich verängstigt an mich. Erst nach ungefähr zwei Stunden tauchte ein junger Mann am Ufer gegenüber auf. Er sprach mit dem Bootsführer, woraufhin dieser mit ihm zusammen einen groÃen Felsbrocken ins Boot wuchtete. Dann ruderte der junge Mann durch das aufgewühlte Wasser auf die Insel zu. Wir beobachteten seine gefährliche Fahrt voller Angst, bis er uns schlieÃlich erreicht hatte.
Binnen Sekunden war Amir im Boot und half zuerst mir und dann seinem kleinen Sohn hinein. Er sagte mir, dass ich mich hinsetzen sollte, und gab mir, als er mein vor Schreck starres Gesicht sah, die Anweisung: »Schau nicht aufs Wasser! Schau einfach nur immer in mein Gesicht und halte Shujat fest! Du musst auf ihn aufpassen. Lass ihn auf keinen Fall los!« Er ergriff ein Ruder und legte sich in die Riemen, und so gelang es den beiden Männern schlieÃlich, uns sicher an Land zu bringen.
Als ich Shujat anlässlich eines Familientreffens in Islamabad viele Jahre später wieder begegnete, war Amir bereits seit einigen Jahren tot. Shujat war jetzt General in der pakistanischen Armee. Beim Abendessen schwärmte ich davon, wie phantastisch sein Vater Wildpilze zubereitet hatte. Mein Cousin bot mir daraufhin an, mit mir zusammen noch einmal den See zu besuchen, wo wir mit seinem Vater zusammen jenes denkwürdige Picknick erlebt hatten.
Schon zwei Stunden später saÃen wir in einem Flugzeug und flogen nach Skardu. Begleitet wurden wir von Shujats neunjährigem Sohn. Am Ufer des Sees stand jetzt ein kleines Gasthaus, was den noch immer zauberhaften Anblick jedoch nicht zu trüben vermochte. Nach einem Nachmittag, der von wehmütigen Erinnerungen an Amir erfüllt war, kehrten wir zum Flugplatz zurück und stellten fest, dass zwischen den Bergen dichter Nebel aufgezogen war und das Flugzeug zurück nach Islamabad nicht starten konnte. Ich musste am nächsten Tag jedoch unbedingt meinen Flug nach Kanada erreichen, und so brachen wir auf der Stelle zu einer achtstündigen Fahrt durch den Karakorum auf, die uns in den angrenzenden Staat Gilgit führte, wo ein anderes Flugzeug auf uns wartete.
Da mein Cousin zu dieser Zeit bereits General war, wurden wir von einem kleinen bewaffneten Konvoi begleitet. Es blieb keine Zeit, um etwas zu essen zu kochen. Stattdessen packte uns der Proviantmeister vier Dutzend Eiersandwiches und eine groÃe Flasche mit Tee ein. Acht Stunden und zwanzig Eiersandwiches später lieferte mich Amirs Sohn sicher und wohlbehalten in Gilgit ab. Unsere Rollen hatten sich vertauscht. Damals, als er noch ein kleiner Junge war, sei ich für ihn eine richtige Heldin gewesen, gestand er mir jetzt. Ich wiederum fand, dass er ein würdiger Sohn Amirs sei. Wir hatten beide das Gefühl, dass Amirs Geist uns die ganze Zeit begleitet hatte und dass er uns auf die Probe stellen wollte. Was wir in diesem Moment noch nicht wussten, war, dass wir jedes Mal, wenn wir uns begegneten, eine derartige Prüfung erleben würden. Ob wir dabei einfach nur sein Andenken lebendig erhalten wollten oder aber von einem Sinn für völlig unangebrachte Heldentaten beherrscht wurden, blieb stets im Unklaren. Jedenfalls blieben wir nie von diesen Prüfungen verschont.
Bevor ich nach Kanada zurückflog, gab meine Mutter noch einmal ein zwangloses Essen, bei dem auch meine älteste Tante Dil-Shad anwesend war. Sowohl meine Mutter als auch meine Tante mussten sich inzwischen an bestimmte Diätvorschriften halten, weshalb die Speisen nur wenig gewürzt waren. Kleine Schälchen mit grünen Chilischoten und in Essig eingelegten Mangos standen deshalb separat auf dem Tisch. Als Tante Dil-Shad sah, wie ich einen Berg eingelegte Mangos und Chilischoten auf meinen Teller häufte, sah sie mich mit strengem Blick an und sagte: »Ich hoffe doch sehr, dass du nicht anfängst, dich wie dein Onkel Amir zu benehmen.«
Schwarze Waldpilze ( Guchi )
Die Zutaten in diesem Rezept lassen sich ohne
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