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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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ihr übel mitspielte. Ihr Mann starb, und ihr einziger Sohn erlag einer degenerativen Krankheit. Ich war zutiefst erschüttert, als ich das erfuhr, war mir jedoch auch gleichzeitig sicher, dass sie selbst das nicht aus der Bahn werfen würde. Jedes Mal, wenn ich nach Pakistan flog, sahen wir uns auf Familienfeiern. Ich war dabei immer wieder darüber erstaunt, dass sie sich vom Naturell her überhaupt nicht verändert hatte. Sie lachte und aß noch immer gern und fand ihren Spaß daran, eine Zigarette in der einen Hand, einen Roman in der anderen, Mitglieder der Familie aufzuziehen. Sie blieb unangreifbar bis zu jenem Tag, an dem sie einen schweren Schlaganfall erlitt. Als meine Mutter mir mit sorgenvoller Stimme am Telefon die Auswirkungen des Schlaganfalls schilderte, hatte ich das Gefühl, plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Absolut außerstande, die Realität zu akzeptieren, klammerte ich mich an die Hoffnung. Ich versuchte mir einzureden, dass meine lachende und tanzende Tante, die bislang alle Schwierigkeiten des Lebens gemeistert hatte, wieder vollkommen genesen würde. Und dann würde sie, genau wie sie das bisher getan hatte, die köstlichsten Gerichte zubereiten.
    Gegen Ende jenes Jahres beschloss ich, möglichst bald meine Mutter in Pakistan zu besuchen. Und von da an zählte ich auch die Tage, bis ich meine Tante, die zu diesem Zeitpunkt in Rawalpindi lebte, wiedersehen würde. Meine Mutter warnte mich jedoch schon vor, dass Naazi nicht mehr die Alte sei. In diesem Moment kam ich mir wie eine Studentin vor, die eines Tages aus dem Studentenwohnheim nach Hause kommt und feststellt, dass ihre Mutter ihr Zimmer umgeräumt hat. Ich rief Naazis Tochter an und sagte ihr, dass ich meine Tante bald besuchen würde.
    An einem frischen Morgen im Spätfrühling stand ich dann mit einem riesigen Strauß Rosen, den ich auf dem Bazar gekauft hatte, vor der Tür meiner Tante. Sie saß in einem hölzernen Gartenstuhl auf dem Rasen vor ihrem Haus und hatte mir den Rücken zugekehrt. Um ihre Schultern lag ein prächtiger Schal, der mit Blumen und Vögeln bestickt war. Neben ihr stand ein kleiner Tisch mit einem Buch und einem Glas Granatapfelsaft. Als ich auf sie zuging und dabei ihren Namen sagte, drehte sie sich sofort um. Sie lächelte mich mit schiefem Gesicht an und umarmte mich im Sitzen, wobei sie fast die Rosen zerdrückte, die ich in den Händen hielt. Ihre dunkle Haarmähne umrahmte ihr Gesicht, in dem sich die Folgen des Schlaganfalls deutlich zeigten. Sie zog eine Augenbraue hoch und zwang zwei Drittel ihres Gesichts zu einem starren Lächeln. Dann legte sie einen Finger auf meine Lippen und machte mir so deutlich, dass ich nichts über die verheerenden Auswirkungen des Hirnschlags sagen solle. Dann spielte sie den Hanswurst und schnitt ein paar Grimassen. Ich zog eine Rose aus dem Strauß heraus und steckte sie ihr ins Haar, das jetzt von silbernen Fäden durchzogen war.
    Naazi hatte gewusst, dass ich sie besuchen würde, und hatte deshalb ein paar meiner Lieblingsgerichte einschließlich eines ganz besonderen Desserts für mich zubereiten lassen. Der frisch gepresste Granatapfelsaft in dem Glas war für mich bestimmt. Als sie mir auf Urdu beschrieb, was es alles zu essen geben würde, schloss sie bei dem Wort meetha , was Dessert bedeutet, verträumt die Augen. In diesem Moment wurde mir klar, dass sie offensichtlich eine besondere Vorliebe für Süßes hatte, von der ich bislang nichts geahnt hatte. Dann zog sie eine Zigarette aus den Falten ihres Schals und bat mich, sie für sie anzuzünden. Während ich an meinem Granatapfelsaft nippte, erzählte sie mir lachend, dass sie den Koch bestochen habe, damit er sie mit Zigaretten versorge. Ihre ältere Tochter, die sich um sie kümmerte, hatte nämlich etwas dagegen, dass sie so viel rauchte. Mich jedoch hätte keine Macht der Welt davon abhalten können, meiner unvergleichlichen Tante Feuer zu geben.
    Ihr vom Schlaganfall in Mitleidenschaft gezogenes linkes Bein hinderte sie später auch nicht daran, in die Küche zu humpeln und einen Blick in die Kochtöpfe zu werfen. Dann wollte sie wissen, warum man auf die Garnierung verzichtet habe, und bat den Koch, nachzusehen, ob es im Haus nicht doch noch irgendwo Walnüsse für ein Rettich-Chutney gab. Zum Mittagessen sollte es Spinat mit Lamm geben, dazu Basmatireis. Auch ein Teller mit

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