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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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bei unserem Besuch in ihrem neuen Zuhause die regionale Küche kennen lernen, und so gab es bei den meisten Mahlzeiten, die sie uns servierte, unter anderem auch gegrillte Kebabs.
    Während jenes kurzen Besuchs bei Naazi erfuhr ich, dass meine Tante nicht nur leidenschaftlich gern kochte, sondern auch leidenschaftlich gern las. Bücher auf Englisch und Urdu verschlang sie geradezu. Wenn sie morgens ihren schneidigen Ehemann mit einem Kuss verabschiedet und ihre Kinder in die Schule geschickt hatte, verschwand sie den ganzen Vormittag in die Küche. Dort bereitete sie dann alle Mahlzeiten des Tages vor. Wenn sie damit fertig war, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, wo sie den Nachmittag bei Zigaretten und kaschmirischem Tee mit Lesen verbrachte. Sie vertiefte sich dabei so sehr in ihre Romane, dass ihre Kinder, ihr Ehemann und auch das Hauspersonal es irgendwann aufgegeben hatten, sie in diesen Momenten zu stören. Viele Jahre später gestand sie mir, dass sie ihre Aufgaben in der Küche stets so schnell wie möglich erledigte und viele Gerichte gleichzeitig zubereitete, nur damit ihr genügend Zeit zum Lesen blieb. Sie tauchte voll und ganz in die Welt ihrer Romane ein und schilderte uns ausführlich die Handlungsstränge und Figuren, ohne dabei zu merken, dass sie selbst durchaus eine der Heldinnen aus einer ihrer Familiensagas hätte sein können.
    Naazi war mit einem fröhlichen Naturell und einer gewissen Furchtlosigkeit gesegnet und war somit eine geradezu vorbildliche Soldatenfrau. Sie hatte kurz vor der Teilung Indiens ihr Studium abgebrochen, um den jungen Offizier zu heiraten, der fünfzehn Jahre älter als sie war und der den Boden anbetete, über den sie geschritten war. So wie bei meinen Eltern überlebte ihre Liebe die Elternschaft und auch einige tragische Veränderungen in ihrem Leben. Naazi und Ahsan waren zugleich ein Liebespaar, die besten Freunde und entspannte Eltern, was in einer autoritären Gesellschaft recht ungewöhnlich war.
    Wenn ihr Mann in eine abgelegene Region abkommandiert worden war, gelang es ihr stets in kürzester Zeit, ihren Haushalt perfekt einzurichten. Sie erschien am Tisch stets tadellos gekleidet, hatte Parfum aufgelegt und sich eine Rose ins Haar gesteckt. Als Frau war Naazi weder modern noch emanzipiert, sie schien vielmehr aus einer romantischen Zeit zu stammen, wo Frauen noch ohne Furcht vor einer Zensur oder vor Repressalien ihre Meinung äußern konnten. Vom Temperament her hätte sie es jedoch ohne Weiteres mit der Mogulkaiserin Nur Dschahan aufnehmen können, von der berichtet wird, dass sie sowohl mit ihrem Elefanten auf Tigerjagd ging, als auch, dass sie einen Duft kreierte, der als Rosenessenz bekannt wurde. Genauso gut hätte meine Tante auch die Reinkarnation von Dschahanara, der ältesten Tochter von Schah Dschahan sein können, die den Bau vieler öffentlicher Gebäude höchstpersönlich beaufsichtigte und Titel innehatte, die normalerweise nur Männern verliehen wurden.
    Einmal baute Dil-Nawaz in der Stadt Rawalpindi ein Haus. Sie führte persönlich die Aufsicht über das Bauvorhaben und setzte sich dabei gegenüber den Lieferanten wie auch gegenüber der Grundsteuerbehörde durch. Sie brachte Lunchpakete zur Baustelle und überraschte die Arbeiter mit deftigen Kebabs, die sie in Naans eingewickelt hatte. Sie besaß aber auch einen ausgezeichneten Instinkt dafür, außergewöhnliche regionale Spezialitäten ausfindig zu machen, was ihre Bereitschaft dokumentierte, sich kühn und unerschrocken auch auf unbekannte kulinarische Gebiete zu wagen.

    Ein Jahrzehnt nach diesem ersten unvergesslichen Besuch bei Tante Naazi in Nowshera kehrte ich noch einmal in diese Gegend zurück, denn ich war zur Hochzeit meiner ältesten Nichte nach Peshawar eingeladen. Auch meine Lieblingstante, die ich inzwischen schon mehrere Jahre nicht mehr gesehen hatte, kam zu diesem Ereignis. Die ganze Familie war unter einem Dach untergebracht, und zwar in einem Hotel für Staatsgäste, in dem auch König Daud von Afghanistan residiert hatte, nachdem er hatte abdanken müssen.
    Mein Schwager, der selbst Pathaner war, hatte meiner Schwester einst in einer roten Cessna hoch am Himmel über Karatschi seinen Heiratsantrag gemacht. Jetzt hatte er keine Kosten und Mühen gescheut und das gesamte prächtige Hotel für die kaschmirische Familie seiner Frau reservieren lassen. Vom

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