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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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jederzeit über Konventionen hinwegsetzen, tapfere, aber unkluge Lebensentscheidungen treffen und sogar seinen Rat in den Wind schlagen konnten. Angesichts dessen bewahrte er jedoch stets Ruhe und Gelassenheit. Zu Hause allerdings untergrub seine Frau Akhtar seine Autorität oftmals auf sehr humorvolle Art und Weise. Manchmal konnte man hinter seiner Ehrfurcht einflößenden Fassade auch ein verschmitztes Lächeln entdecken.
    Im Gegensatz zu seinem jüngeren Stiefbruder, dem unwiderstehlichen Amir, sah ich Onkel Bashir regelmäßig. Wir besuchten ihn oft in seinem Zuhause, und meine Vertrautheit und Zuneigung ihm gegenüber wuchsen, als ich ihn in seiner privaten Umgebung erlebte. Einmal rief er den gesamten kaschmirischen Familienclan in die Stadt Campbellpur in Pakistan zusammen. Meine jüngste Tante Dil-Ara hatte einen Verehrer, der zum Abendessen kommen und bei dieser Gelegenheit offiziell um ihre Hand anhalten wollte. Onkel Bashir hatte meine Mutter und alle ihre Schwestern eingeladen, um den jungen Mann, je nachdem, was sie von ihm hielten, entweder völlig einzuschüchtern oder ihn mit ihrem Glanz zu verzaubern. Es war dies in unserer Familie ein alter Trick - mein Onkel dachte strategisch und war der Meinung, dass es ausreichte, einfach nur Pracht zu entfalten, um einen Antrag zu verhindern oder zu beschleunigen. Zum Abendessen sollte es Shebdeg, das sind in Ghee gebratene kaschmirische Rüben mit Lamm, geben, und dieses Gericht würde sowohl als Werkzeug der Verführung als auch als solches der Verhandlung dienen.
    Als wir am nächsten Morgen bei meinem Onkel eintrafen, rannte ich sofort ins Speisezimmer. Auf dem Esstisch dort stand ein großer Metallbehälter, der ungefähr die Form einer Milchkanne hatte. Mein Onkel Bashir tauchte gerade einen langen Metalllöffel in das Gefäß und schöpfte damit eine wachsartige, zitronengelbe Flüssigkeit heraus. Er kostete davon, spitzte die Lippen, warf dann noch einen Blick in den Behälter und nickte schließlich. Das hieß, dass er mit der Qualität der Ghee, die für dieses ganz besondere Abendessen zum Kochen verwendet werden sollte, zufrieden war.
    Ghee ist geklärte Butter, die so lange bearbeitet wird, bis sie keinerlei Wasser mehr enthält. Durch diesen Prozess ist sie länger haltbar als normale Butter und kann auch höher erhitzt werden als diese. Dadurch wiederum eignet sie sich auch zum Frittieren und Sautieren. Der Behälter auf dem Tisch war gerade aus einem Dorf angeliefert worden, in dem es eine Privatmolkerei gab, deren Produkte den hohen Ansprüchen meines Onkels entsprachen. Die Anlieferung der Ghee und das Ritual des Kostens, das dazu diente, den Grad ihrer Reinheit festzustellen, war stets von einer gewissen Anspannung begleitet. Wenn die Ghee nämlich nicht von bester Qualität war, konnte mein Onkel so zornig werden, dass selbst die Mutigsten das Weite suchten. Mein Onkel ließ in dieser Frage absolut nicht mit sich spaßen, und dennoch verdrehte seine Frau, die hinter ihm stand, in gespielter Verzweiflung die Augen und verzog dann ihr Gesicht zu einem sardonischen Lächeln. Akhtar wagte es, die Zeremonie des Kostens ins Lächerliche zu ziehen, und ich bewunderte sie dafür. Es kam mir so vor, als sei sie ein Schmetterling, der in die Höhle des Löwen geflattert und wieder davongeflogen ist, ohne dass seine zarten Flügel Schaden genommen hatten.
    Dass die Ghee den Beifall meines Onkels fand, war ein gutes Omen für den Beginn des Tages in diesem Haus, das ich in gewisser Weise als Monstrum betrachtete. Die Fassade aus roten Ziegelsteinen war mit drei dorischen Säulen geschmückt, die dort jedoch ein wenig deplatziert wirkten. Riesige Bambusrollläden schützten das Haus vor der Hitze des Tages, verliehen ihm aber auch ein abweisendes Aussehen. Über die Veranda auf der Vorderseite gelangte man in einen riesigen zentralen Hof, in den die Küche hineinragte. Das große Wohnzimmer wurde von einem Porträt meines Großvaters beherrscht, der einen türkischen Fez trug. Das Bild hatte früher im Hause meiner Großmutter gehangen. Im Erdgeschoss befand sich auch das Allerheiligste, nämlich das Schlaf- und Arbeitszimmer meines Onkels. Es hieß, dass in den Regalen und Schreibtischschubladen dieses Zimmers all die wichtigen Familienunterlagen lagen, die mein Onkel aus Kaschmir mitgenommen hatte. Bis jetzt hatte er jedoch noch

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