Zungenkuesse mit Hyaenen
junge Zielgruppe« herangeführt werden. Einmal soll es der gute alte handgemachte Krimi mit ruhigen, langen Einstellungen sein, aber dann wieder verwackelter Dogma-Style. Das sterbende öffentlich-rechtliche Fernsehen versucht die Quadratur des Kreises.
Die Castings haben sich über fast zwei Jahre hingezogen, weil mehrere männliche Entscheidungsträger, unter ihnen auch Herr Müller, »talentierte Damen« zur neuen Tatort-Kommissarin machen wollten. Es waren viel zu viele »talentierte Damen«, die sich auf eine einzige Stelle als Tatort-Kommissarin bewarben.
Erst seit kurzem stehen die beiden neuen Namen fest. Der Mann ist ein Theaterschauspieler, im Fernsehen völlig unbekannt, die Frau ist – keine von den »talentierten Damen«. Sie kam aus dem Nichts, ohne Lobby, auf niemandes Empfehlung, und schlug alle Konkurrentinnen.
Die Rote Müllerin hat dies von Herrn Müller erfahren, der wütend ist, dass sie, seine Favoritin, nicht gewonnen hat. Er ist darüber fast noch wütender als sie selbst, weil er einen Machtkampf gegen unbekannt verloren hat, weil er hinnehmen muss, dass andere Seilschaften stärker sind, dass er die Mechanismen dieses einsamen Sieges nicht durchschaut. Hier ist Müller verwundbar, denn er übt Macht aus, so wie andere atmen und gehen. Es gibt nur zwei Dinge, sagt er immer, die Männer interessieren: Macht und Sex.
»Und auch noch eine Negerin!«
Die Müllerin möchte ihn ohrfeigen und küssen, wenn er so was sagt. Ohrfeigen, weil es dumm ist, küssen, weil er keinen kleinkarierten Teppich von mustergültiger Sprache ausbreitet, weil er nicht jede Vokabel auf Unbedenklichkeit prüft, weil er mit jeder Faser von gestern ist und gar nicht erst so tut, als sei er von heute. Müller ist unempfänglich für die Bemühungen der Political Correctness. Er ist das Feindbild. Er ist der Gegenentwurf. Er ist durchdrungen von erfrischender Fortschrittsfeindlichkeit, und das macht ihn wahrhaftig. »Schmallippige Pietistin«, sagt Müller, wenn sie ihn, weil er Krieg und Stierkampf liebt, einen Goldknopf-Nazi nennt, einen Militaristen, der rechts neben Dschingis Khan marschiert.
»Linke Kokotte«, ruft er dann, angeheizt von ihren Widerworten, und singt ein Loblied auf die Atomkraft, »das wollen wir, dass ihr zu uns überlauft. Ihr habt alle euren Preis. Schau Sahra Wagenknecht an, die isst eben auch gern Hummer.«
Felicitas Müller kniet auf dem Boden. Sie hat Dossiers der beiden Schauspieler vor sich. Lose Blätter liegen auf dem Linoleum verstreut. DVD-Stapel, Fotos, Promo-Mappen. Die Luft ist zum Schneiden dick von Räucherstäbchenduft und Zigarettenrauch. Wollmäuse tanzen, als sie das Fenster öffnet und den Stadtlärm von Rizz hereinlässt.
Sie greift nach einer DVD, legt sie ein, lässt sie laufen. Eine Schauspielerin beim Casting. Dunkle Haut, akzentfreies Deutsch, groß und hager. Die Entscheidung, eine afrodeutsche Tatort-Kommissarin zu besetzen, ist den politisch korrekten Anstrengungen der letzten Jahre geschuldet. Seit Barack Obama amerikanischer Präsident ist, will niemand mehr zurückstehen. Bereits existierende Drehbücher werden um eine »Figur mit Migrationshintergrund« erweitert. Das deutsche Fernsehen ist inzwischen stolzer Präsentator eines vietnamesischen Wetterfrosches, einer türkischen Nachrichtensprecherin, eines äthiopischen Talkmasters und einesindischen Quiz-Moderators. Alle haben sie etwas Niedliches, etwas für den europäischen Blick Erträgliches. Sie sind kompatibel, telegene Zentauren, halb fremd, aber nicht zu fremd, halb deutsch, aber nicht zu deutsch.
Kuki Bobito, die neue Tatort-Kommissarin, mag in Burkina Faso, wo sie herkommt, als Schönheit gelten, für das abendländische Auge ist sie schlichtweg hässlich: breite Nase, riesige rissige Lippen, lange, runzlige Orang-Utan-Hände. Grauschleier über der pechschwarzen Haut, Gelbschleier überm Augenweiß. Die Stirn flieht, die Haare beuteln in einem windschiefen Afro vom Kopf. Sie ist eine imposante Erscheinung, das zweifelsfrei, aber für ein Remake von »I walked with a Zombie«. Was, um Himmels willen, ist in die Entscheidungsträger gefahren? Das Tatort-Publikum gilt als noch konventioneller als das Traumschiff-Publikum. Kuki Bobito ein deutsches Mordkommissarinnen-Ich zu geben ist ein künstlerisches Selbstmordkommando. Ausgerechnet sie, die Müllerin, ist damit beauftragt. Und sie braucht diesen Job.
Auf der DVD, die sie eingelegt hat, ist Bobito in der Rolle eines Vamps zu sehen, als
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