Zungenkuesse mit Hyaenen
Stewardess einer afrikanischen Airline, die drei deutschen Touristen den Kopf verdreht. Wer mag sie schon damals so fehlbesetzt haben? Sie überragt ihre männlichen Partner um Haupteslänge. Sie schaut finster und bellt rau. Sie gurrt nicht, sie schnurrt nicht, sie bellt. Eine afrikanische Adele Sandrock. Eine misslungene Schwester von Grace Jones. Ein weiblicher Lyle Lovett. Unter anderen Umständen würde die Müllerin in die Hände klatschen vor Vergnügen über dieses Ausmaß an Subversion. Aber so? SIE muss schließlich das Drehbuch schreiben. Und wenn ihr nicht bald eins einfällt, und zwar ein überzeugendes, ist sie weg vom Fenster.
Also los. Sie macht sich Notizen. Sie muss Kuki Bobito eine Rechtfertigung geben, Tatort-Kommissarin zu sein. Ihre ursprüngliche Idee, das neue Ermittlerteam in einen erotischen Zusammenhang zubringen, geht so nicht auf. Entfernte Verwandtschaft liegt ebenso wenig auf der Hand. Vielleicht könnte Bobitos Partner ein Rassist sein? Ein ostdeutscher Rassist? Das wäre zwar ein Klischee, aber ein mutiges.
»... deine angepassten, langweiligen, politisch korrekten Drehbücher ...«
Sie steckt eine DVD vom männlichen Hauptdarsteller in den Player. Er spielt den Hamlet auf einer Provinzbühne. Ein Schwabe mit blondem Babyflaum und großem, rundem Kopf. Er sieht so lieb aus. Fraglich, ob er zum Rassisten taugt.
Zettel häufen sich auf dem Linoleum. Felicitas ist im Flow, sie merkt gar nicht, wie es dämmert, wie es Abend wird, wie ihr lautlos gestelltes Blackberry hektisch blinkt.
Die Turmuhr schlägt 12. Es klopft an die Wohnungstür. Felicitas ist im Schlafanzug, ungewaschen, Penatencreme auf den Lippen, die Zunge blau vom Rotwein. Sie hasst unangekündigten Besuch und Liebhaber, die nicht merken, dass es vorbei ist. Es klopft wieder. Bélas schmeichelnde Stimme: »Mach auf, Süße ...!«
Müllers Komplimente klingen anders: »Es ist eine Wohltat, mit einer gescheiten Frau zu ficken«, »Du bist die in mein Leben getretene Wichsvorlage«. Oder: »Mann, bin ich froh, dass du einen Vaterkomplex hast!«
Jetzt tritt Béla gegen die Tür. Seine Stimme ist tränenerstickt. »Ich weiß, dass du da bist.«
Sie öffnet nicht. Da kracht es. Die Tür hängt schief in den Angeln. Dahinter Bélas treuherziger Hundeblick. Die Müllerin will keinen Radau. Sie ist im Haus bereits unbeliebt wegen ihrer wechselnden Herrenbesuche. Man schneidet sie, schließt sie aus gemeinschaftlichen Entscheidungen aus, nimmt ihre Pakete nicht entgegen. Einmal hat ihr sogar jemand vor die Tür geschissen. Sie wuchtet die verkantete Wohnungstür auf. Béla riecht nach Cognac, Eau deCologne und Haargel. Er breitet den Trenchcoat aus und ist darunter ganz nackt. Sein Anblick nimmt sie für ihn ein. Ihr Zorn schlägt in Heiterkeit um.
»Lass mich rein«, bettelt er.
»Béla, ich hab zu tun.«
Sie heftet den Blick auf seine Erektion und fragt sich, ob er sie im Fahrstuhl gewaltsam herbeigeführt hat.
»Der April mit dir war der glücklichste meines Lebens«, sagt er.
Und sie antwortet: »Aber jetzt ist Mai.«
EISKALT
Das Telefonat mit Big Ben versetzte mich in Panik. Ich stürzte zum Schrank der Roten Müllerin, ließ einige Mäntel, die an Bügeln hingen, außer Acht und wühlte in den danebenliegenden Fächern herum, wild entschlossen, jeder Unterhose eine Geschichte abzutrotzen. Kartons, die ich mit einem neu angeschafften Brotmesser aufschlitzte, Kleider, Kostüme, Hosenanzüge, rot und schwarz, die ich drehte und wendete. Ein schwarzer Nylonsack mit Schuhen, die jeden Schuhfetischisten entzückt hätten: zierliche Schnürstiefel aus weichem braunem Leder, handgemachte italienische Stöckel, nummerierte (Nr. 13 von 100) blutrote Pantoffeln mit Glitzer, knallrote Lack-Overknees, weiße Ballerinas, Stiefeletten, die ganz aus Perlen bestanden.
Weiter oben waren Blue-Ray-DVDs, sämtlich von Tarantino-Filmen. Handtücher, Gebrauchsanleitungen, ein Karton mit Medikamenten, eine rothaarige Lockenperücke, die ich mir reflexartig wie eine Duschhaube über den Kopf zog, und ein Kästchen mit Schmuck, alles durcheinander, wie in Eile in den Schrank geworfen. Erst jetzt, als ich hockte, sah ich, dass unter dem Schrank, an der Seite, wo einer dervier Füße fehlte, drei Exemplare von »Eiskalt« lagen – das war der Titel des Bestsellers. Der Einband war rot, natürlich, was sonst. Ich zerrte daran, aber sie gaben nicht nach. Außerdem würde ohne sie der Schrank umfallen. Ich würde Hilfe brauchen, um eines
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