Zungenkuesse mit Hyaenen
Hat-ja-gar-nicht-weh-getan. Lachte sie ihn aus?
Man weiß nie bei diesem Weib. Sie ist eine widerborstige Geliebte, eine, die sich innerlich weigert, Objekt seiner Lust zu sein, die immer reflektiert und ironisiert. Sie ist ununterwerfbar, auch und vor allem dann, wenn sie sich hingibt. Stets hat sie Urteil und Erwiderung parat, immer hackt wie automatisch ihr verbaler Schnabel los. Sie ist eine kalte Analytikerin seiner Schwächen und zeitgleich ein Gefühlsgewitter, das, obwohl ansonsten vollkommen unberechenbar, immerhin pünktlich jeden Mittwoch auf ihn niedergeht.
OFFENHEZZISCHKEIT
Schon am nächsten Morgen fuhr ich wieder nach Dingenskirchen, diesmal saß ein kräftiger schwarzhaariger Mann mit Schnauzbart im Auto, der mir bekannt vorkam, als ich ihn im Halbprofil betrachtete. Er blickte in den Spiegel, drehte sich in freudiger Erregung zu mir um und strahlte: »Salam!«
Es war Klarhabbisch.
»Oh, was machen Sie – was machst du denn hier?«
»Zweite Beruf!«
Klarhabbisch stoppte den Wagen und bat mich nach vorn auf den Beifahrersitz. Dann schaltete er das Taxameter aus, schlug mir auf die Schulter und vereinbarte mit mir einen »Freundpreis«, der mir relativ hoch vorkam. Hauptsache, er gab mir eine Quittung. Wir plauderten. Das heißt, er plauderte.
Der Leuchtturm war für Klarhabbisch nicht der Tuntentower, auch kein Geheimdiensthaus oder Mekka für Hobbyfotografen, vielmehr ein Sprungturm für Selbstmörder. Allein letztes Jahr seien zwei Menschen hinabgesprungen und zu Tode gekommen, das Jahr davor sogar drei, und noch ein paar Jahre früher, als Klarhabbisch gerade nach Rizz gezogen war, hatte eine junge Frau, die Tochter eines »Reichmann« aus Luzern, eine Stammkundin in seinem Bistro, den Sprung überlebt. Das sei eine besonders tragische Geschichte gewesen, Liebeskummer, nun sei sie »ganz kaputt«.
Auch über Dingenskirchen wusste Klarhabbisch einiges zu berichten. Ab und zu fuhr er Fahrgäste vom Hauptbahnhof Rizz direkt dorthin in ein Etablissement namens »Aphrodite«. Dingenskirchen sei ein freizügiger Ort, bekannt für die, er legte die Hand an den Mund und flüsterte, »Offenhezzischkeit« der Anwohner. Er selbst sei zwar noch nicht dort gewesen, kenne aber eine hauptberuflich im »Aphrodite«tätige Dame namens Natascha, die ihn manchmal in aller Verschwiegenheit im Lagerraum des Leuchtturmbistros besuche.
»Mahmud«, rief ich und schubste ihn freundschaftlich, »gut, dass ich dich zum Freund hab.«
Nun, da wir offiziell Freundschaft geschlossen hatten, erzählte mir Klarhabbisch alles, was er über Müller wusste. Das heißt, über Müller selbst wusste er nur, was im Mittagskurier stand, aber besagte Natascha zähle auch Müller zu ihrer Klientel, und Müllers Fahrer, Herr Pilz, wohne in Klarhabbischs Nachbarschaft. Er sei nett, mit »Rottehaar«, stets in Schlips und Kragen, im Unterschied zu seinem Chef, und er kaufe zweimal im Jahr größere Mengen Haschisch bei meinem Nachbarn, dem Modedesigner. Ob ich Haschisch von David kaufen sollte? Warum eigentlich nicht? Ein Bohemien ohne Rauschgift, das wäre Etikettenschwindel.
An jenem Tag trieb ich mich erneut zwei Stunden lang in der Nähe von Müllers Anwesen herum. Ich sah einen schwarzen BMW das schwere Tor passieren. Ich sah Rübezahls semmelblonde Kinder mit einer trächtigen Kuh spielen. Ich schlenderte unauffällig am Club »Aphrodite« vorbei, einem schmucklosen Reihenhaus, das sich nur durch rote Fensterläden von den Nachbarhäusern unterschied. Ein kleines Schild hing an der Tür: »Täglich 22 – 6 Uhr«. Ich machte die Haltestelle des Überlandbusses ausfindig, die mir künftig eine unauffälligere und kostengünstigere Anreise möglich machen sollte. Und ich lud Klarhabbisch, mit dem ich mich für die Rückfahrt am Dorfplatz verabredet hatte, an der menschenleeren Eisbude auf ein Magnum Classic ein.
»›Aphrodite‹ hat noch zu, was?«, rief der Eisverkäufer zwinkernd über den Tresen. Da war sie, die von Klarhabbisch angekündigte »Offenhezzischkeit« der Dingenskirchener.
»Wir wolln gar nix zu die ›Aphrodite‹ wir wolln zu ...«
Ich trat Klarhabbisch. Er verstummte.
»Ja, genau«, sagte ich, zwinkerte zurück und reimte zu meinem Erstaunen: »Erst noch ein Eis, dann wird es heiß!«
Der Eisverkäufer grölte los, während Klarhabbisch krachend den Schokoladenüberzug von seinem Eis biss.
»Wir sind das erste Mal hier, ist das ›Aphrodite‹ ein Club, wo man so richtig Spaß haben kann?«
Der
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