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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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das Wichtigste?«, stieß ich hervor.
    »Das denk ich mir?«, sagte der Chemiker. »Dann kann ich Ihnen nicht helfen? Versuchen Sie es mal drüben im Copyshop? Ich würde Ihnen raten, die Seiten langsam auseinanderzuziehen, nur immer so weit, wie sie nachgeben, dann durchsichtige Folien drauf, dann jede Doppelseite einzeln einscannen und die Schrift mit einem Bildbearbeitungsprogramm sichtbar machen, ja?«
    Überfragt verließ ich die chemische Reinigung und lief hinüber zum Copyshop.

HOHE ABSÄTZE, KURZE HAUPTSÄTZE
    Je wärmer die Jahreszeit, desto mehr sehnt sich Müller nach Nutten, Schreibkräften, technischen Zeichnerinnen mit Arschgeweih und ondulierten Haaren, je verwechselbarer und banaler, desto besser. Ihn giert nach Mädchen, die Respekt vor ihm haben, die Billigdessous aus Fernost tragen, die ihn voller Eifer sexuell bedienen und dadurch weiterkommen wollen, so wie sie es aus Filmen kennen, Mädchen, die jede Kröte küssen würden, Mädchen, die er bezahlt oder beschenkt, Mädchen, die nach Nivea und Discount-Deo riechen, die schon vorm Besitz seiner Telefonnummer in die Knie gehen, die im Plusquamperfekt sprechen und sich nicht über das Niveau seiner Anmache lustig machen wie die Müllerin.
    Er will Mädchen, die seine drei Standardwitze noch nicht kennen, seinen schütteren Anekdotenschatz, seine 70er-Jahre-Bonmots, Mädchen, die ihn anhimmeln, ihn fürchten, die nicht wagen würden, ihn auszulachen, anzugreifen, die ihn nie auf einen Widerspruch hinweisen würden, schon allein, weil er ihnen nicht auffiele. Hohe Absätze, kurze Hauptsätze, danach steht Müller der Appetit.
    Es klingelt. Er bringt mit den Händen den Rollstuhl in Schwung, gleitet zur Tür. »Komme schon!«
    Da steht Natascha, Nastjenka, hochgewachsen, im steifen kurzen Rindslederrock, und kreischt vergnügt, als sie ihn sieht. Und er ruft: »Wow, Schätzchen, siehst du wieder geil aus!«
    Müller besticht mit den Mitteln der Verblüffung. Er ist routiniert, und er geht das Unwahrscheinliche, ja, das Unmögliche, so direkt an, dass er in kurzer Zeit mit seinem Rollstuhl durch die Zielgerade fährt. M. ist trotz seines Handicaps, nur halb zu funktionieren, ein guter Liebhaber geworden. Er setzt seine Behinderung ein, um zu frappieren, er schlägt alle erotischen Schlachten im Kopf. Wer in seinem Bett landet, ist bereits erobert. Er weiß, wo man anfasst, wasman sagt. Seiner jeweiligen Geschlechtspartnerin gibt er das Gefühl, die ranghöchste aller Göttinnen und zeitgleich die allergeilste Sau zu sein.
    Er findet es stimulierend, wenn eine Frau, der er beischläft – auf die ihm einzig mögliche Art, nämlich unter ihr liegend –, schreit wie ein angestochenes Kalb. Es bestärkt ihn in seiner lädierten Männlichkeit, die mehr Zuspruch, mehr Anfeuerung braucht als unversehrte Männlichkeiten.
    Er liebt es, Vibratoren in den Farben der Trikolore in den Körperöffnungen der Geschlechtspartnerin zu versenken. Mit Ausnahme der Müllerin, die dann empört »Aua!« oder »Was soll das?« schreit, scheint das allen zu gefallen. Jedenfalls behauptet er das. Die Frauen sollen gefälligst so tun, als gefiele es ihnen. Was okay ist. Müller pfeift auf die Wahrheit. Er wünscht vielmehr lebhafte Zustimmung. Er mag Sex nur, wenn er laut ist.

FUNKLOCH
    Auf dem Rückweg rannte ich fast das Krückenmädchen über den Haufen. Ich stolperte und lag zu ihren Füßen. Die Papptüte fiel zu Boden, die Wodkaflasche rollte heraus, war aber nicht kaputtgegangen.
    »Prost!« Sie lachte vergnügt und sagte, den Männern, die sie zu Fall bringe, pflege sie sich vorzustellen. »Ich bin das Gritli.«
    Erst jetzt fiel mir auf, dass sie Schweizerin war. Gritli. So hieß in unseren Breiten niemand, schon gar nicht mit sächlichem Artikel, so sprach auch niemand.
    »Michael.«
    Wir warteten beide auf den Fahrstuhl. Ich blickte angestrengt auf dieAnzeige.
    »Sie sind Journalist, hat mir ein Vogel gezwitschert«, sagte sie.
    »Was für ein Vogel?«, fragte ich.
    »Na, der scheiß Puvogel.«
    Sie kicherte, und auch ich musste unwillkürlich lächeln. Mutter hätte pardongt. »Das Gritli« trug ein braunes Kopftuch und einen blonden Pferdeschwanz darunter. Mit einem leisen Kling hielt der Lift. Die Tür öffnete sich. Sie stieß die Krücken unisono auf und schwang ihre vergitterten Beine in den Fahrstuhl hinein, ich trat hinzu.
    »Drück-ccchen Sie die Sechs für mich?«
    Sie sprach die Sechs mit scharfem S. Ich drückte die Sechs und die Zwanzig. Da wir jetzt

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