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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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drauf!«
    »Da stehen alle drauf«, sagte ich, hob das Strickmuster auf und hielt es ihr hin.
    Gritli nahm den großen Papierbogen in den Mund, schwang sich zum Tisch, griff nach dem Stift und verband »Krückenmädchen« mit »Müllerin«.
    »Hast du sie gekannt?«, fragte sie.
    »Du offenbar ja«, sagte ich, beeindruckt von ihrer raschen Auffassungsgabe.
    »Flüchtig.«
    »Wie war sie?«
    »Scheiße.«
    »Was weißt du über sie?«
    »Ihr Buch hab ich gelesen. Nullachtfuffzehn. Sonst nur, was in der Zeitung stand. Dauernd war sie mit irgendwelchen Filmstars abgebildet. Einmal war sie im Playboy, der war in Rizz gleich ausverkauft. Sie soll auch mal in einer Entzugsklinik gewesen sein. Ich glaube, sie war so was wie ’ne Edelnutte. Und jetzt ist sie tot. Edelnuttenschicksal. Ist das Honigbuch von ihr? Sagst du deswegen, es ist ein Indiz in einem Mordfall? Ist sie ermordet worden?«
    Ich notierte: Playboy, Entzugsklinik, Edelnutte. »Ich weiß es nicht. Habt ihr euch mal unterhalten?«
    »Nur einmal, nachts im Fahrstuhl. Ihr Kleid war zerrissen, sie hat geheult.«
    »Wieso?«
    »Der war schon hier«, sagte Gritli und wies auf das Foto von Big Ben. »Der sowieso«, sagte sie dann und zeigte auf den Cellisten.
    In mir arbeitete es, während ich die entsprechenden Verbindungsstriche auf dem Strickmuster anbrachte.
    »Was wir hier besprechen, ist streng geheim. Das Honigbuch gehört der Müllerin. Niemand darf davon erfahren, dass es existiert. Im Moment jedenfalls. Und, Gritli, ich dulde keine Fragen.«
    Sie nickte heftig, unterm spöttischen Blick der toten Müllerin, die mir ihren Besitz vermacht hatte und die ich nun verraten müsste, um reich zu werden und viele Frauen zu küssen.
    »Aber was ...?«
    »Keine Fragen!«
    »Michael, krieg ich einen scheiß Kaffee, oder darf ich danach auch nicht fragen?«
    Gritli, die dem Bistrostuhl, den mir Klarhabbisch für einen »Freundpreis« von 10 Euro verkauft hatte, nicht traute, inspizierte diesen lange und drückte dann auf einen Knopf, der die Gitter um ihre Kniegelenke entspannte. Mit einem Plumps landete sie auf dem Stuhl. Die Krücken fielen um, der Stuhl hielt.
    Wir frühstückten wie ein Paar. Ich steuerte Frau Puvogels selbstgemachte Marillenmarmelade, Mama Bärs Freiland-Eier und Fair-Trade-Kaffee bei, Gritli Bio-Dinkelbrötchen und veganes Milchpulver. Das Ganze gipfelte sogar darin, dass ich Gritli ein Brötchen schmierte. Das hatte ich an Sonntagen für Mutter getan.
    »Kannst du eigentlich kochen?«
    »Ja. Wieso?«
    »Auch Bohneneintopf?«
    »Glaub schon, warum fragst du?«
    »Nur so.«
    Ich stellte mir vor, mit Gritli in einer Beziehung zu leben. Löffelchenstellung, Weckerklingeln, Frühstücken, gemeinsame Haushaltskasse, Abendpläne, Wochenendpläne, Urlaubspläne. Gritli würde Mutters köstlichen Bohneneintopf kochen, und wir würden semmelblonde Kinder haben, wie Rübezahl. Aber war ich nach Rizz gekommen, um einem Krückenmädchen Marmeladenbrötchen zu schmieren? Und was würde Mutter sagen zu so einer Wahl? Wobei Mutter vermutlich jede Wahl recht wäre. Und hatte sie Gritli nicht sogar gekannt? Wie war der Name noch, den Mutter am Telefon genannt hatte?
    Kuki Bobito, wie sie den Teller balanciert, die Rote Müllerin, weinend, im zerrissenen Kleid, die dampfende Frau Puvogel, die grobschlächtige Hanna, Gritli, Mutter – das waren sie, die Frauen meines Lebens. Das war alles, die ganze traurige Wahrheit. Die Wahrheit war, dass ich keinerlei Erfahrungen hatte. Über heimlicheSchwärmereien, unglückliche Verliebungen und desaströse Paarungsversuche, die im Keim erstickt wurden, war ich nie hinausgekommen. Mutter war anfangs froh gewesen, dass ich niemanden mit nach Hause brachte, aber später hatte sie mit Kuppelversuchen begonnen. Sie lockte Töchter gutgestellter Grimmelshausener unter einem Vorwand ins Haus. Das ging nach hinten los, und ich war, der Not gehorchend, ein Eigenbrötler geworden, der lieber las oder mit Mutter »Mensch ärger dich nicht« spielte, als sich verloren auf Partys herumzudrücken. Natürlich hatte ich die einschlägige Literatur studiert. Theorie war also nicht mein Problem.
    Romane zum Beispiel – ich war Premiummitglied der Fahrbibliothek und kannte, zum Teil mittels Fernleihe, alle erhältlichen Klassiker wie »Madame Bovary«, »Die Kameliendame«, »Die Blumen des Bösen« – hatten mich ebenso geprägt wie Filme: »Die Reifeprüfung«, »Der Duft der Frauen«, »Im Reich der Sinne«, »Basic Instinct« – ich

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