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Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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wovon?
    Vorher war das alles kein Problem gewesen, schon während der Schulzeit, auf einer Italienreise, fällt Müllers eigenwilliges Pockennarbengesicht Visconti auf, er will ihn um sich haben. Müller assistiert beim »Tod in Venedig«, studiert dann Germanistik und Filmwissenschaften, promoviert. Das wäre eine Riesenkarriere geworden. Aber nun, durch den Unfall, ist alles vorbei. Über einen Praktikumsplatz, den ihm die Gräfin, eine mitleidige Verlegerwitwe, besorgt, rackert Müller sich hoch zum Korrektor, dann vom Korrektor zum Lektor.
    Es sieht aus, als würde Müller gemacht, zumal er auf der anderen Seite der Wahrheit geboren ist, aber in Wirklichkeit macht er sich selbst. Er erfindet sich nicht neu, er erfindet sich überhaupt.
    Er spart, pumpt sich Geld, nimmt einen Kredit auf, kauft ein Auto, lässt eine Handschaltung einbauen, züchtet sich ein Funktionsnetz an Sklaven heran, reist überallhin, kommt immer ans Ziel, egal wie. Er ist zäh, ehrgeizig, dazu unverschämt intelligent. Er ist kurzweilig, durchtrieben, mit diesem Hang zum Maliziösen. Er ist hungrig, hungrig wie ein Haifisch, er ist von Hause aus nicht mit Skrupeln beschwert, und er hat ein Erleuchtungserlebnis. Gott hat ihn in der Blüte seiner Jahre für ein ausschweifendes Leben bestraft, das er noch gar nicht geführt hat. Dieses ausschweifende Leben, das ist er Gott nun schuldig.

PRÄPOTENZ
    »Herr Pilz, halten Sie doch bitte mal da vorn!«, sagte der Erfolgsproduzent.
    Pilz hielt an der beschriebenen Stelle an. Es war der Eingang des Stadtparks, über den sich der Leuchtturm erhob. Müller öffnete die Autotür und gab ihr einen derben Stoß. Sie sprang bis zum Anschlag auf.
    »Ah«, rief er, »der Frühling in der Stadt! Nichts riecht besser als der Frühling in der Stadt! Er ist zwar unverschämt und präpotent mit seinen schwellenden Knospen und fummelnden Paaren, aber er duftet. Riechen Sie das? Nach Honig und Beton, nach Unschuld und Sünde. Riecht er nicht herrlich?«
    Während Müller offenbar poetischer Stimmung war, gingen mir andere Dinge durch den Kopf: Honig. Er hatte ausgerechnet Honig gesagt. Warum hatte er Honig gesagt? Es roch weder nach Honig noch nach Beton. Zitierte er ein Gedicht von Benn, war er im Bilde?
    »Schauen Sie«, rief Müller, »all diese Titten, diese Ärsche! Haben Sie Philip Roths ›Portnoy‹ gelesen? Man glaubt es kaum: Alle Frauen haben Mösen! Zum Ficken!«
    Mein Mund schmeckte nach Seife. Auch Mutter? Auch Mutter!
    Warum ich ausgerechnet jetzt an Mutter denken musste? Ich zog mein Smartphone aus der Tasche, um nachzuschauen, ob jemand angerufen hatte, aber es war aus, der schwachbrüstige Akku war schon wieder leer.
    Ich dachte immer weniger an Mutter. Sie bewohnte einen Asteroiden, der sich immer mehr von meinem Planeten entfernte. Der tote Cellist im See. Das entschlüsselte Tagebuch. Die Fortsetzungsgeschichte, die ich so schnell wie möglich liefern sollte. Der tägliche Rapport, den ich Big Ben schuldig blieb.
    »Ja, es riecht herrlich!«
    Pilz war ausgestiegen und mit ruhigen Schritten um das Auto herumgegangen. Er hatte aus dem Kofferraum eine Banane genommen, geschält und verzehrt. Er strahlte Ruhe und Verlässlichkeit aus. Ja, so ein Fahrer war schon was.

RANZIGER BOCK
    Zwischen Pilz und seinem Boss herrscht wortloses Einverständnis. Pilz ist ein Fahrer alten Schlages, der sich nie eine Grenzüberschreitung herausnehmen würde. Ein »Du«, wie in Hierarchien inzwischen üblich, wäre hier undenkbar. Pilz mischt sich nie in Gespräche ein, erträgt die schweren Zigarrenwolken, ohne ein Gesicht zu machen, und wenn sein Boss telefoniert, stellt er das Radio leise und verschließt die Ohren. Als Chauffeur muss man die Augen auf der Straße haben. Nur ab und zu darf man einen Blick in den Rückspiegel werfen. Falls etwas anliegt. Jede Nacht denkt Pilz an seinen Boss, und es ist unwahrscheinlich, dass der an ihn zurückdenkt. Diese Art von Liebe, das weiß Pilz, oder er ahnt es immerhin, ist die schwerste und die absoluteste: bedingungslos und ganz ohne Belohnung.
    Boss bleibt Boss, aber in Angelegenheiten des Fahrbetriebs, inAutowartung, Streckenführung, Fahrlogistik, gilt unumstößlich Pilzens Wort. Pilz fährt den Erfolgsproduzenten seit Jahrzehnten. Er ist nicht nur an Müllers Musikgeschmack, Müllers Kleidergeschmack, Müllers Faible für »Currywurscht« gewöhnt – er hat selbst große Teile davon übernommen. Überdies ist er auch mit Müllers kompliziertem Privatleben vertraut.

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