Zungenkuesse mit Hyaenen
nur an einzelnen Einträgen hängen, die mich erregen. So lebendig steht die Müllerin vor mir auf, so ungeschützt in ihrer Neugier, in ihrer Gier. Wie gern hätte ich sie durch dieses Leben mit Müller begleitet, wie unangenehm war mir die Vorstellung, diese Notizen der Privatheit entreißen und publizieren zu müssen. War eine Gratwanderung möglich, konnte ich einen Weg finden, eine Facette der Müllerin herauszuheben und die anderen im Dunkeln zu belassen?
Schwer zu beschreiben, wie das ist, sich in M.s Auftrag von wildfremden Männern bumsen zu lassen. Es ist ja doch sehr unterschiedlich, was jeder unter einer Orgie versteht. Ein zufälliger Leiberhaufen im Drogenrausch. Ein festes Ensemble nach bestimmter Choreographie. Jeder mit jedem oder nur alle mit dem Chef. Fremde oder bereits eingeführte Personen, freundschaftlich-sportlich oder eher Rollenspiel und Grenzerfahrung.
Sehr sexualisiert. Gestern mit M. beim Boxen gewesen. Schwergewicht. Ein junger osteuropäischer Schläger mit Schaum vorm Maul prügelte einen Ami nieder, der einen tänzerischen, fast schwulen Boxstil hatte. Ich war erregt. Danach, beim VIP-Empfang, steckte mir der Schläger seine Nummer zu. Noch nachts, mit M. auf dem Heimweg, schickte ich ihm eine SMS. Wir treffen uns heute. So ist das, M. hat Weiber, ich habe Kerle. Das tut der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil! Erstaunlich, wie nah einem ein Mann rückt, wenn man ihn ab und zu betrügt. Schlafe ich mit M. in einem Bett, dann beugt sich vorm Einschlafen jeder nach seiner Nachttischseite und simst, diskret natürlich, denn nichts ist unerotischer als Offenheit, seinem jeweiligen Techtelmechtel Gute Nacht!
Ich: Wenn ich eine Affäre hätte, ich würde meinem Liebhaber nie sagen, dass ich ihn liebe, verliebt sei, Sehnsucht habe, dass er der Beste ist, dass ich immer nur an seinen Schwanz denke, den ganzen Mist.
M.:Dir fehlt das Mitgefühl. Ich sag so was jeder. Da freut die sich.
Es schien für jedes Jahr nur wenige Einträge zu geben. Die meisten drehten sich um Müller, nach und nach kamen auch kritische Töne auf:
Heute, in der Hoffnung, M. zu beleidigen, gesagt, er sähe aus wie ein Zuhälter. Er war geschmeichelt. M. nutzt die Schwächen anderer gewohnheitsmäßig aus, manchmal sogar, ohne dadurch einen Vorteil zu haben. Es ist ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich aufpassen muss. Niemand wird geschützt. Sein neuer Assistent ist ein affektiertes kleines Weichei mit Bleistift im Arsch. Widerlich servil. Er nennt ihn Gürkchen.
M. hat keine Ahnung, wie ich lebe. Dieser Überlebenskampf in meinem Hochhaus. All die Zweifel, die Gespenster von früher, der Suff. M. hat auch keine Ahnung, dass ich keine grünen Augen habe und keine roten Locken – obwohl ich unter der juckenden Perücke langsam welche züchte. Heut morgen habe ich, wie jeden Donnerstag, den Wecker ge stellt , um die grünen Kontaktlinsen einzusetzen, bevor er erwacht. Ich will seine smaragdäugige Traumfrau sein.
Wenn M. in meiner Nähe ist, finde ich mein Gleichgewicht wieder. Wenn M. da ist, kann ich nicht verrückt werden wie meine Mutter. M. ist kein Geist. Er ist ein reales Ungeheuer. Einem realen Ungeheuer kann man ins Auge schauen.
Es gibt in M.s Leben Frauen von früher, die periodisch wieder auftauchen, aktuelle, ihm sklavisch ergebene Gefährtinnen, und immer wieder neue. Er muss nur die Hand ausstrecken, um eine von diesen Frauen in sein Bett zu holen. Er nennt das »pflücken«, und manchmal hab ich den Eindruck, es langweilt ihn, dass sie so wenig Widerstand leisten, dass er nicht erobern muss. Sie scheinen ihm wie reife Früchte in den Schoß zu fallen.
Geistig kann er mich nicht unterwerfen. Das hat ihn am Anfang stimuliert, dann angekotzt, jetzt macht er keinen Versuch mehr, im Gegenteil. Er schätzt meine Unumstimmbarkeit. Wir sind beide neurotisch, und die Muster greifen wie Hände ineinander. Er leidet an Größenwahn, ich an Komplexen. Er ist ein Narzisst, ich autoaggressiv. Beide neigen wir zur Sucht, ich saufe, er ist drogenabhängig.
Gestern hat er gesagt, ich sei die Sonne, in die er reite.
M. und ich, wir spielen Rollen. Ein endloses Katz-und-Maus-Spiel, bei der sich Maus und Katze abwechselnd die Masken runterreißen, die Katze entpuppt sich als Maus, die Maus als Katze und vice versa.
M. ist einer, der von Mittdreißigerinnen abschätzig sagt: Die hat’s hinter sich; einer, dem ich niemals ungeschminkt und ungekämmt gegenübertreten werde, einer, für den ich
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