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Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Zur falschen Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain Claude Sulzer
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Klosterkirche. Ihr verdankte das Hotel seinen Namen, mit dem geringfügigen Unterschied, daß sich das i des ehemaligen Klosters von St. Merri im Namen des Hotels zu einem y gewandelt hatte. Ob mir diese winzige Abweichung schon damals auffiel oder erst später, als es längst renoviert und schick geworden war, weiß ich nicht mehr.
    Ich betrat das Hotel. Ein rechtwinkliger roter Pfeil mit der Aufschrift Réception deutete nach oben. Der Empfang befand sich im ersten Stock, ein Vorzimmer, in dem die Sonne, die durch das Fenster fiel, sich eben hell und wärmend auf einem mit Zeitungen bedeckten Tisch ausgestreckt hatte. Zwei Sessel waren weit unter diesen Tisch geschoben, als wollte man verhindern, daß jemand sich setzte. Auf dem Tisch standen Blumen, die sich als unecht erwiesen. Mehr Gemütlichkeit hatte man sich nicht gestattet. Ansonsten war das Zimmer leer, keine Vorhänge, die ockerfarbenen Rupfentapeten waren der einzige Schmuck, etwas düster und verwohnt. Eine zweite Tür führte offenbar in die eigentliche Wohnung der Besitzer, dort lief der Fernseher, und von dort roch es nach Küche. Ich mußte mehrmals die Tischklingel betätigen, bis endlich jemand erschien, ein Mann mittleren Alters. Seine Frau ließ sich nicht blicken. Wie ich während meines Aufenthalts feststellen konnte, teilten sie sich die Arbeit einmütig und gerecht, er heute, sie morgen, er tagsüber, sie nachts, nie habe ich sie zusammen im selben Raum gesehen.
    Der Hotelier blickte mich fragend an, er wußte, was ich wollte. Ich erkundigte mich nach einem Zimmer und nach dem Preis. Dieser erwies sich als niedrig, 60 Francs pro Nacht, 180 im voraus für drei Tage, falls ich so lange bleiben wollte. Ich bejahte. Wollte ich länger hier wohnen, würde ich am vierten Tag erneut einen Vorschuß auf die nächsten zwei Tage bezahlen, und so weiter. Monsieur Delorme,ich merkte mir den Namen, drückte mir einen Schlüssel, zwei Handtücher und eine Rolle Klopapier in die Hand und nannte mir die Zimmernummer in der dritten Etage. Seife, sagte er, sei im Zimmer. Ich stopfte die Sachen zu meinem Gepäck und ging nach oben. Nachdem ich das Empfangszimmer verlassen hatte, wurde der Fernseher noch lauter. Wahrscheinlich waren nun alle Zimmer belegt, weitere Gäste unerwünscht.
    Ich bekam für mein Geld ein breites Bett mit doppelten Laken, Wolldecke und einer glänzenden hellrosa Steppdecke, einen einfachen Tisch, einen einfachen Stuhl, einen Spiegelschrank und einen Sessel, in den ich mich während meines ganzen Aufenthalts nie setzte. Ich benutzte ihn als Kleiderablage. Toilette und Dusche befanden sich auf dem Flur auf derselben Etage, in einem bis unter die Decke gekachelten Raum, dessen trübes Fenster auf einen Lüftungsschacht ging. Ich teilte sie mit den Bewohnern der beiden anderen Zimmer, die ich allerdings nie zu Gesicht bekam. Im Zimmer selbst gab es auch ein Waschbecken, das vom übrigen Raum durch einen dicken Plastikvorhang abgetrennt war, dem ich möglichst nicht zu nah kam. Es war schwer zu entscheiden, welcher Ausblick häßlicher war, der auf den offenen oder der auf den geschlossenen Vorhang. Doch ich gewöhnte mich schnell an den Anblick.
    Ich schloß die Tür, stellte den Seesack in eine Ecke, wo er in sich zusammenfiel, als sei ihm die Luft ausgegangen, und streckte mich auf dem Bett aus, bevor ich auspackte. Im Schrank hingen mehrere Drahtbügel an einer Querstange, und es gab vier Regale. Drei Tage lang würde ich über diese Dinge verfügen, als gehörten sie mir, und wenn ich wollte, oder wenn es nötig war, auch länger.
    Es gab nur einen Fernseher im Haus, den der Delormes, der in ihrem Wohnzimmer im ersten Stock stand. Man hörteihn tagsüber ab neun Uhr im ganzen Haus, sobald man auf den Flur trat, man hörte ihn auch, wenn man auf dem Klo saß oder aus der Dusche kam. Nur im Zimmer selbst hörte man ihn nicht. Der Teppichboden dämpfte die Geräusche von unten, und offenbar waren auch die Wände dick genug, um sie von mir fernzuhalten.
    Die Eigentümer des Hotels beschränkten ihre Neugierde offenbar auf das, was sich außerhalb ihres Hauses abspielte. Der Fernseher lief immer und lieferte Bilder von Frankreich und dem Rest der Welt. Für ihre Gäste brachten sie nicht die geringste Neugierde auf.
    Noch am selben Abend, als ich das Hotel verließ, lud Madame mich ein, mich jederzeit zu ihnen zu gesellen, wenn ich fernsehen wollte. »Faites comme chez vous, venezvoir la télé si vous en avez envie« , sagte Madame, die

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