Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)
seine eigene Gerissenheit und auch darüber, daß er sich darauf etwas einbildete. Er hatte Veronika so weit gebracht, den Namen des Geliebten auszusprechen! War es das, was er beabsichtigt hatte, als er das Wort »Essenz« in ihrer Gegenwart benutzte? Einen Zeugen, der nichts wußte und nichts bezeugen konnte. Veronika ahnte nichts. Die stille Teilhaberin nickte und schien mit ihm einig zu sein.
»Ja, die Tomaten schmecken phänomenal«, sagte sie, »aber auch das Olivenöl mit dem Pfeffer und diesem Käse. So einen Käse habe ich mein Lebtag nicht gegessen. Und das Brot! Wenn wir vom Öl nur keinen Durchfall bekommen.«
»Es ist auch mit dem Öl nicht anders. Reinheit. Körperlichkeit. Geschmeidigkeit. Pure Essenz, Hitze, Licht und Tau, all das zusammen, Tag und Nacht«, sagte Emil, der davon gehört hatte, daß die Tomate ein Nachtschattengewächs sei, und er dachte an Sebastians Körper und die Hände, die seine Wangen berührten, und Veronika nickte, während ihr ein Tropfen Öl über das Kinn rann. Wäre Sebastian ihm gegenübergesessen, hätte er es mit einem Finger aufgetupft und abgeleckt. Statt dessen machte er eine Handbewegung, und Veronika griff schnell nach der Papierserviette, um das Öl wegzuwischen. Er schmeckte ihn auf der Zunge.
Die Sonne ging unter, aber es war noch so warm, daß sie den Einbruch der Nacht abwarteten, bevor sie nach Collioure zurückfuhren.
Am nächsten Tag erwartete ihn kein Brief, was den Portier dazu veranlaßte, ihm aufmunternd zuzuzwinkern, was Emil zu übersehen versuchte, obwohl er spürte, daß dem Portier die Enttäuschung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, nicht entgangen war. Er riß sich zusammen,mittags nicht nachzufragen, ob nicht doch noch ein Brief für ihn gekommen sei. Es war nichts da. Es hatte nichts zu bedeuten, und dennoch stürzte es ihn in einen Zustand, der der Aussichtslosigkeit bedrohlich nahekam. Selbst der Sonne wollte er nicht weichen.
Als sie abends auf der Hotelterrasse beim Essen saßen, riß Veronika ihn aus seinen Gedanken, als sie ihn auf eine kleine Gruppe Touristen aufmerksam machte, die soeben das Hotel betreten hatten. Zweifellos Gäste, die eben angekommen und von der Sonne noch nicht gebräunt waren. Sie hatten Gepäck bei sich und waren viel zu warm gekleidet.
»Die müssen ganz schön müde sein«, bemerkte Veronika, und Emil nickte abwesend, was ihr nicht entging. Er nahm einen Schluck Wein und setzte das Glas vorsichtig ab. Desinteressiert blickte er über die Neuankömmlinge hinweg, bis ihn eine Bewegung stutzig machte. Ohne sofort zu erkennen, worum es sich handelte, kam es ihm vor, als gehörte sie zu jemandem, der ihm schon einmal begegnet war. Die Person, ein junger Mann, drehte sich um und schaute in ihre Richtung.
»Was ist«, fragte Veronika.
»Nichts. Wir bestellen noch ein Glas Wein«, sagte Emil geistesgegenwärtig zu Veronika, während er gleichzeitig in Sebastians Augen sah, der seinem Blick standhielt. Veronika bemerkte es nicht. Keiner hatte vor, den anderen zu verraten, keiner würde es tun, keiner legte es darauf an, die Situation zu klären, keinem war daran gelegen, irgend etwas daran zu ändern. Plötzlich hatten die Heimlichkeiten einen anderen Hitzegrad erreicht. Es schien ihm, als seien sie einander über die Köpfe der anderen hinweg noch näher gekommen als bei ihrer letzten Begegnung. Sebastian wendete sich um. An diesem Abend spürte Emil die Wirkung des Alkohols früher als sonst, und Veronika fielauf, daß er mehr rauchte als üblich. Es entging ihr auch nicht, daß seine Laune sich schlagartig gehoben hatte.
Ich suchte Rentsch, den Uhrmacher, auf, der sich an mich erinnerte. Wenn er sich fragte, wie ich innerhalb so kurzer Zeit in den Besitz jener Uhr gelangt war, die ich vor etwas weniger als zwei Wochen noch vermißt hatte, zeigte er sein Erstaunen jedenfalls nicht. Ich legte die Uhr meines Vaters vor ihn hin und erklärte ihm, daß sie all die Jahre seit dem Tod meines Vaters unbenutzt in einer Schublade gelegen habe und an meinem Arm nach ein paar Stunden präzisen Funktionierens stillgestanden sei.
Er drehte und wendete sie in seiner Hand.
»Ein gut erhaltenes Exemplar.« Er entdeckte ein paar unbedeutende Kratzer auf dem Glas, ohne sein Okular aufzusetzen. »Wenn die dich stören, wechseln wir das Glas aus, wenn nicht, lassen wir das, wie es ist.«
Nein, die Kratzer störten mich nicht im geringsten, im Gegenteil, sie gaben sichtbar Zeugnis darüber ab, was ich nicht und wohl
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